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Italien ihre Truppen aus Britannien zurückgezogen. Infolgedessen
wurden die Bewohner bald von den räuberischen Pikten und Stoten
(Schotten) von Norden her heimgesucht. Sie riefen deshalb die Angeln
und die Sachsen, die im heutigen Schleswig wohnten, zu Hilfe. Diese
selten hinüber, wurden aber aus Helsern bald Herren des Landes.
So ging auch Britannien dem römischen Reiche gänzlich verloren.
jfö. Attila. Da die Westgoten außer ihren Gebieten in Spanien
aucyG a l l i e n südlich der Loire besaßen, die gleichfalls ostger-
manischen Burgunder den Südosten, die heidnischen westgermam-
schen Franken den Nordosten Galliens eingenommen hatten, so
war um 450 das weströmische Reich bis aus Italien und
kleine Reste von Gallien durch Germanen besetzt.
Über diese in der Neuordnung begriffene Welt ergoß sich nun eine
hunnische Sturzwelle. Die Huunen hatten inzwischen als Nomadenvolk
zwischen Wolga und Donau geweilt. Im Jahre 444 wandten sie sich
• plöfcltch unter ihrem König Attila, den seine Zeitgenossen „Gottes-
geißel" nannten, dem Rheine zu. Attila, ein Herrscher von klarem
Verstände und eiserner Willenskrast, wollte sein Reich bis an den Ozean
ausdehnen. Seine wilden Scharen verwüsteten die Römerstädte am
Rhein und in Gallien und drangen bis zur Loire vor. „Wohin der
Huf von Attilas Pferd trat, da wuchs kein Gras mehr", sagt ein alter
Volksspruch. Die Römer und die Westgoten verbanden sich gegen den
gefürchteten Feind, und auf den Catalannifchen Feldern bei
Chalons an der Marne kam es zu einer mörderischen Schlacht (451).
Attila wurde besiegt und mußte abziehen. Ungeheuere Opfer hatte
diese gewaltige Schlacht gekostet; unter ihnen war auch der tapfere
Westgotenkönig Theoderich. Diefer rnhmvolle Sieg bewahrte
das ganze Abendland und die christliche Bildung vor dem
Untergang durch die Hunnen.
Aber schon im folgenden Jahre fiel Attila in Italien ein und
verwüstete die Poebene. Damals flohen vor den Hnnnen zahlreiche
Bewohner aus die kleinen Inseln in einem Strandsee, und so kam es zur
Gründung des später so mächtigen Venedig. Seuchenartige Krank-
heiten im Heere veranlaßt?» Attila zum Rückzüge. Schon im folgen-
den Jahre starb er eines jähen Todes. Das Hunnenreich zerfiel bald.^
X 6. Gänzliche Auflösung des weströmischen Reiches. 476. Italien
würde schon längst bloß dem Namen nach vom weströmischen Kaiser
beherrscht; denn auch hier hatten die Germanen in Wirklichkeit die
Herrschaft. Bei den Truppen, die das Land beschützten, waren sämt-
liehe Führer Germanen. Kein Wunder, daß schließlich Odoaker.
ein germanischer Feldherr der kaiserlichen Soldtruppen, den Kaiser
Romulus, den man später spottweise Angüstulus nannte, einfach
absetzte und sich zum Könige machte (476).