42
Dies aber ist die Geschichte des Todes der Jungfrau.
In der fünften Woche nach Pfingsten des Jahres 1648, am Tage
Johannis des Täufers, wollte Ehrn Friedemann Leutenbacher in seinem
verwüsteten Kirchlein das Abendmahl austeilen, und am Tage vorher
hatte ihm der Meister Konrad im Walde gesagt, daß er mit seinem
Kinde herniedersteigen würde, um des heiligen Geheimnisses teilhaftig
zu werden. Else aber hatte zu diesen Worten ihres Vaters genickt und
lächelnd gesprochen:
„Ja, Herr Pfarrer, wir kommen herab aus dem Walde, und dann
nehmen wir Euch nach dem heiligen Werke mit uns zurück. Es ist
mein Geburtstag morgen, den müsset Ihr mir feiern helfen. Ihr müsset
mir ein Sträußlein und einen Glückwunsch in Reimen bringen."
Ehrn Friedemann hatte auch gelächelt und genickt und gesagt, er
wolle schauen, daß er die Blumen zum Strauß und die Reime zum
guten Wunsch mit den Blumen am Wege zum Walde finde.
Dann hatte er, als der Mond aufstieg, Abschied genommen und
hatte, als er sich am Fels wendete, die zarte Gestalt im weißen Schein
des Mondes stehen sehen und neben ihr das zahme Reh. Die letzte
Nachtigall des Jahres hatte ihr letztes Lied gesungen, und als der
Pfarrer aus dem Walde hervorgetreten war, lag über den Bergen
jenseits des Dorfes ein fernes Gewitter, dessen Blitze er leuchten sah,
dessen Donner er aber nicht hören konnte. Die ganze Nacht hindurch
war er von bösen, angstvollen Träumen geplagt; und wenn er sich
halb ermunterte, nachdem er erschreckt aus dem peinlichen Schattenspiel
aufgefahren war, vermeinte er immerfort, den heftigsten Regen auf
seinem morschen Dach und vor seinem Fenster zu vernehmen. Das
war jedoch nur Täuschung; nur ein nicht starker Wind rauschte die halbe
Nacht, von Mitternacht an, in den Bäumen, und die aufsteigende frühe
Sonne fand'einen wolkenfreien Himmel, ihre Bahn daran durch einen
schönen Sommertag zu laufen.
Die kleine Kirchenglocke hatten die Kroaten mit sich fortgeführt;
sie konnte die Gemeinde nicht zusammenrufen. Ein Kind, vom Pfarr¬
haus geschickt, lief von Hütte zu Hütte und sagte an, daß der Pastor
zum Dienste am Worte Gottes bereit sei.
Mit Sonnenaufgang hatten der Magister Konradus und Else ihre
Hütte verlassen, ohne von dem Dorfkinde aufgefordert zu sein. Lieblich
lag der Sonnenmorgen über dem Walde; lieblich erregten sich die