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Fürchterlich sind die Schrecknisse der Wüste. Vor allem erzittert
der Reisende, wenn der entsehliche Khamsin) naht. Dann wird die
Luft unerträglich schwül, und der sonst so klare Horizont verschwimmt
hinter einem nebligen Schleier, den der in der Ferne aufgewirbelte
Wüustensand bildet, während in der Nähe noch kein Lüftchen sich regt.
Aer die Kamele scheinen das kommende Ungewitter zu ahnen, sie
werden unruhig und ängstlich und sind kaum von der Stelle zu bewegen
Und nun erhebt sich von Suden oder Südwesten ein leichter heißer
Wind, anfangs nur pausenweise mit schnell vorübergehenden Stößen,
bald aber immer häufiger, heftiger und sturmartiger. Obgleich die
Sonne den dichten Staubschleier nicht mehr zu durchdringen vermag,
scheint es dem Wanderer doch, als ob ihre Strahlen ihm unmittelbar
das Haupt versengten, so furchtbar ist die erstickende Hitze. Allmählich
verwandelt sich der feurige Purpur der Atmosphäre?) in bleierne Dunkel⸗
heit. Die schnaufenden und ächzenden Kamele lagern sich dicht gedrängt
neben einander, den Hals lang über den Boden ausgestreckt, den Rücken
gegen den wütenden Sandsturm gekehrt. Die Kameltreiber häufen
die Wasserschläuche über einander, um sie möglichst vor dem Verdunsten zu
bewahren, hüllen sich dicht in ihre Mäntel ein und suchen Schutz vor
dem Winde hinter Kisten und Ballen. Nachts ist die Dunkelheit voll⸗
kommen, kein Licht, kein Feuer brennt in den Zelten, die nur mühsam
den Windstößen widerstehn. Jeder schweigt, doch niemand schläft;
unheimlich dringt von Zeit zu Zeit das Geheul eines Schakals durch
das Brausen der empörten Atmosphäre.
Ein anhaltender Sandsturm vermehrt auf schreckliche Weise die
Beschwerden äiner Wüstenreise und bringt dem Wanderer neue, noch
unbekannte Leiden. In der trockenen Luft springen seine Lippen auf
und fangen an zu bluten; seine Zunge lechzt vergebens nach einem
erfrischenden Trunke, und zugleich mit einem wütenden Durste quält
ihn ein unausstehliches Jucken und Brennen über den ganzen Körper,
denn die Haut oͤffnet sich an hundert Stellen, und der feine Sand
dringt in jede Wunde ein.
Bisweilen ist eine tödliche Entzündung die Folge dieser gehäuften
Qualen; in anderen Fällen entsteht Blutändrang nach dem Gehirn,
und besinnungslos stürzt der Unglückliche hin, um niemals wieder auf—
zustehn. Und das Los seines Gefährten, der noch das volle Be—
wußtsein seiner trostlosen Lage behält, ist oft noch schrecklicher; denn
der Tod des Verdurstens erwartet ihn mit seinen langsamen Foltern.
Sein Kamel fällt erschöpft nieder, sein Wasserschlauch ist fast leer. Er
versucht zu gehn, aber bald hat der glühende Sand seine Füße mit
Geschwüren bedeckt, und ein jeder Schritt ist mit marternden Schmerzen
verbuͤnden. Seine Gefährten sind alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um
seinen Leiden das geringste Mitgefühl zu schenken; sie haben nur einen
Gedanken — sich selbst, — nur ein Ziel — das Erreichen des nächsten
Brunnens. Wasserlos, hilflos bleibt er allein in der schrecklichen Einöde zurück.
M) Der Khamsin (v. arab. chamsia — funfzig), der besonders während der
sunsr Tage voin Ende April bis zu Anfang der Mlüberschwemmung in Ägypten
wehende, aus der Wüste kommende Glühwind. ») Die Ammosphäre, der die Erde
umgebende Dunstkreis.