§ 154. I11. Teil: Mittel- und West-Europa; die Alpen. 166
das zusammen klingt: Bahnstation ~ Gletscher! Es ist wie ein Scherz, wie eine Phantasie
Jules Vernes! Und doch ist es Wirklichkeit: die „Clektrische" hält 2530 m hoch neben
einem Gletscher! Wir übersteigen einen langen, schmalen, mehrere Meter hohen Wall
aus lauter schwarzgrauen Steinen von Faustgröße und darüber: es ist eine Seitenmoräne (V. E.,
s 59), die der Gletscher Jahr für Jahr verstärkt und im Hochsommer, indem er zurücktaut, frei liegen
läßt. Nun stehen wir an der Seite des Gletschers. Ein Invalide hat eine Höhle in ihn hineingetrie-
ben. Wir betreten sie, sreuen uns zwar der herrlichen azurblauen Wände, fühlen uns aber durch
die eisige Kälte bald wieder hinausgetrieben. Wir steigen auch auf den Rücken des Gletschers.
Er. wird von Schmelzwasser überspült, das in zahllosen Rinnen und Ritzen eilig dahinrieselt und
das Eis so glatt macht, daß man Mühe hat, sich auf der schrägen Fläche aufrecht zu halten. ~
Also hinab und zur Station zurück! Gleich nach der Abfahrt nimmt uns ein in die Eigerwand
hineingebrochener Tunnel auf, und diesen Tunnel wird die Bahn auf der ganzen 9 km langen
Strecke, die noch zurückzulegen ist, nicht wieder verlassen. Sie wird enden 75 m sJenkrecht unter
der Iungfrauspitee. | Tiese letzten 75 m Jollen mittelst Autsug genommen werden!). Dieser durch
Eiger, Mönch und Jungfrau sich hinziehende Tunnel war eshalb nötig, weil man in der Schnee-
region natürlich keine freie Bahn anlegen kann. Aber die Fahrt ist nicht langweilig und bedrückend
wie sonst in einem Tunnel. Etwa alle 2 km hält der Zug, und jedesmal können die Reisenden
durch bogenförmige Seitendurchbrüche Nusschan halten wie der Türmer aus seinen Turmluken.
Rothstock Eigerwand und Eismeer, die bis jett fertigen Stationen, bieten Ausblicke von über-
wältigen ersüirkung. Aber das Großartigste ht noch aus. Die nächste Station wird das Jung-
fraujoch sein, die 3490 m hohe Senke zwischen Mönch und Jungfrau. Hier wird der Blick nach
der Talseite hin alles das umspannen, was wir bisher einzeln schauten, nach der andern Seite
aber wird er staunend schweifen über die stundenweit sich dehnenden, glitzernden und das Auge blen-
denden Gefilde von Schnee und Eis, aus denen scharfkantige Hörner nackt und starr hervorragen, die
wie erzgepanzerte Wächter den Menschen ob seines Eindringens in diese, der Welt entrückte hei-
lige Einsamkeit finster und drohend anschauen. Schlitten, mit Hunden bespannt, werden wahr-
scheinlich bereit stehen, und der Reisende wird hinabgleiten über den Jungfraufirn und den aus ihm
sich bildenden stolzen Aletschgletscher und wird so das Rhonetal gewinnen, um von hier aus auch die
Hallen des Nachbardo mes, der Penninischen Alpen, zu durchwandeln. Oder auch, er wird zum
Jungfraujoch zurückkehren, wird auch noch die letzte Tunnelstrecke zurücklegen, wird sich hinaufheben
lassen auf den Gipfel der Jungfrau, wird hinabschauen auf das unendliche, „in grüngoldnem
Schimmer verschwimmende Flachland mit den unzähligen Werken von Menschenhand“" und
auf die Pracht des gewaltigen Gipfelmeeres, das ihn mit seinen zahlreichen Gruppen, seinen
vielzacfigen Reihen und seinen schneeigen Mulden und Hochtälern wie mit gewaltigen wirren
Wogen umgibt. Von den Ötttaler und Ortler Alpen im Osten bis zum Montblanc und den fernsten
Savoyarderbergen im Welten wird keiner der bekannten Gruppen und Einzelberge Jich seinem
Blick entziehen. + Gepackt von der erhabenen Welt hier oben, von ihrer weltenfernen Einsamkeit
und Ruhe, von der Wucht und Majestät all ihrer Erscheinungen, wird er sein Herz von Schauern
der Ewigkeit durchströmt fühlen; seine Lippen werden stumm werden; schweigend wird er anbeten.
Und aus den Alpen in die Heimat zurückgekehrt wird sich seine Seele vielhundertmal zurück-
träumen in das Unaussprechliche, was seinen Augen zu sehen vergönnt war, und die emp-
fangenen Cindrücke wird er sein Lebenlang als unverlierbare, nie ihren Glanz mindernde
Schätze empfinden.
Östlich von den Berner Alpen gehört dem kristallinischen Urgebirge noch an der
südliche, höchste Teil der Vierwaldstätter Alpen, die Dammasstoctgruppe zwischen Aar und
Reuß, 3633 m, [und der höchste, westliche Teil der Glarner Alpen, die Tödigruppe. er Tödi
selbst, 3270 m, ist allerdings ein alkberg + teils altzeitlich, teils jurassisch + der sich inmitten
kristallinisccher Umgebung erhebt.) | Das Haslital (Tal der oberen Aar bis zum Brienzer See),
zwischen Berner- und Vierwaldstätter Alpen, sst reich an landschaftlichen Reizen (Aarglelscher,
Handegg-Jall, s. Skizze 80) und steht durch den Grimfelpaß mit dem Rhonetal in Verbindung,
und zwar da, wo die Rhone dem von der ammasstockgruppe herabkommenden Rhonegletscher
entsströmt und wo die Rhonestraße gleich darauf den Furka (= Gabel-) Pa zwischen der Damma-
stockgruppe und den Lepontischen Älpen überschreitet (s. das Lehmann che Bild Jurkastraße 179]
und Text unter Skizze 80). |] Den tristaltinischen Teil der Berner Alpen, die Zautzzgttol und
die Tödistocktgruppe faßt man des zusammenhängenden einheitlichen Gneiss und Granit-
stein wegen auch wohl als ein Massiv unter der Bezeichnung Finsteraarhornmasgiv
zusammen.
y 1) Noch höher als die Jungfraubahn ist in Amerika eine von Lima (Peru) ausgehende
Bahn, die die Cordilleren in 4770 m Höhe übersteigt (Montblanc 4810 m]).