Full text: Bilder aus der allgemeinen Geographie und aus den aussereuropäischen Erdteilen (Bd. 1)

245 Bilder aus Afrika. 
I. Die Nilländer. 
1. Der Nil. 
Kein Strom ist welthistorischer als der Nil; an keinen knüpfen 
sich bedeutendere Erinnerungen als an ihn. An seinen Ufern beginnt 
die Geschichte eines Volkes, so großartig und eigentümlich, wie sie kein 
anderes Land der Erde aufzuweisen hat; es ist die Urgeschichte der 
Menschheit, die sich uns hier im lebensvollen Bilde entrollt. Aber 
abgesehen von den historischen Erinnerungen erscheint uns der Nil auch 
nach anderen Beziehungen hin fast einzig und unerreichbar. Man 
betrachte nur seinen Ursprung oder seine Mündung, seinen Lauf in 
dem engen Gebirgsthale, seine periodischen Überschwemmungen, die 
belebende Kraft seines Wassers: überall finden wir, wie er eine Aus— 
nahmestellung unter allen übrigen Flüssen einnimmt. Schon die Alten 
forschten, wiewohl vergeblich, nach seinen Quellen; das Dunkel, welches 
letztere umwob, war für sie ein Grund mehr, an die göttliche Herkunft 
des Stromes zu glauben. Als segenspendende Gottheit trat er plötzlich 
hervor in die Länder der Menschen und wurde für diese ein Gegen— 
stand der innigsten Verehrung. 
Erst der neuen Zeit war es vorbehalten, den Schleier zu lüften, 
der die Nilquellen dem Auge der Menschheit entzog. Aus dem 
gewaltigen Ukerewe-See, der von den tropischen Regengüssen und den 
zahlreichen Flüssen, die den in der Nähe des ANuators liegenden 
Bergen entströmen, gespeist wird, tritt jener Wunderstrom hervor 
und ergießt sich znnächst in einen zweiten See, den er aber bald 
wieder verläßt. Anfangs von Bergzügen begleitet, die sich all— 
mählich im Flachlande verlieren, tritt er unter dem 11. Grade 
nördlicher Breite in ein echt tropisches Sumpfland, das zur Zeit der 
Überschwemmung meilenweit mit Wasser überdeckt ist. Der Urwald, 
in welchem hauptsächlich die stacheligen Mimosen, der gewaltige Affen— 
brotbaum und die mannigfaltigsten Schlingpflanzen auffallen, die 
Krokodile, die Nilpferde und Nashörner, die Affen, die prächtige 
Paradiesammer, der Marabu, — alles beurkundet die tropische Fülle. 
Schon ist er zum breiten Strome geworden, eine mächtige Ader milch— 
trüben Wassers, da drängt sich einer der klargrünen abessinischen Berg— 
söhne, der Blaue Nil, heran, und zu einer Wasserader verbunden durch— 
fließen nun beide eine weite, dürre Wüstenplatte. Bergzüge lagern sich 
dem Flusse quer vor, und dieser muß sich in unzähligen Wasserfällen 
seinen Weg über dieselben bahnen. Die größten Stromschnellen sind 
unter dem 21. n. B., wo sich der Nil 20 bis 24 km weit schäumend 
und brausend zwischen tausend kleinen, nackten Inselchen hindurchdrängt. 
Bei Assuan, unter dem Wendekreise des Krebses, durchbricht der Nil 
den lehten Höhenzug, der sich seinem Laufe entgegenstellt; hier über— 
schreitet er zugleich zwischen Wänden von Granit in brausenden Strom— 
schnellen die äußerste Grenze seines Unterlaufes und tritt nun in eine 
1125 km lange, schmale Felsplatte ein, die sich im Norden zum
	        
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