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auf allen Ästen; die armdicken, gewundenen Stämme der Aroideen hängen
mit ihreu fußlangen, breiten Blättern aus den Astwiukeln hernieder; ander-
wärts haben sich mehrere Schlinggewächse frei schwebend in der Luft der-
wirrt, und lebhaft blühende Schmarotzer haben sich an den Verschlinguugs-
stellen augesiedelt, in solcher Art eine natürliche Blumenampel bildend. Auf
breiten Ästen hat die Natur kleine hängende Gärten angelegt; da gewahrt
das Auge neben Moosen und Farnkräutern besonders allerlei mit
Blüten übersäte Orchideen, deren flaschenförmige Knollen sich mittelst
bindsadenähnlicher weißer Wurzeln festhalten. Die Blütenpracht dieser
Pflanzen ist unvergleichbar; die Blumen sind überaus abenteuerlich geformt,
lebhaft, oft sehr bunt, gefärbt und hauchen einen geradezu berauschenden
Duft aus. Einen stattlichen Blüthenkolben bilden die Blumen der Brome-
liaceen; ungemein scharf tritt er neben den gelblichen Blättern hervor.
Langer Baumbart hängt in Büscheln weißer Haarflocken von der Unter-
feite der Äste hernieder. Noch mehr aber als durch dieses seltsame Pflanzen-
gebilde wird unsere Aufmerksamkeit durch die Tillaudfia erregt; sie
hat scharlachrote Blüten uud über ein Meter lange, handbreite Blätter,
an deren Enden sich mit Wasser gefüllte Schläuche befinden. Laubfrösche
uud ganze Kaulquappeusamilien wählen diese Flüssigkeitsbehälter zu
ihren Standquartieren. Köstlicher Duft teuft unser Auge uach auderer
Richtung; wir erblicken die Vanille, die am dicken, lichtgrauen Stamme
des Kuhmilchbaumes emporklimmt. Der unvergleichlich zarte, würzige
Geruch der niedlichen Blüten erfüllt die warme Lust weithin uud verrät
uns den Standort der wertvollen Pflanze.
Verschwenderisch sorgt der Urwald für alle seine Kinder; überall
bietet er dem Wanderer reichliche und treffliche Nahrung. Die frischgrüne
Banane liefert uns erfrischende und stärkende Früchte; die Palmen
spenden in den ihrigen gleichfalls unerschöpfliche Mengen guter Speise;
zahllose Beeren vom feinsten Wohlgeschmack verkommen unbenutzt, weil
sich hier jedes Geschöpf nur das auswählt, was ihm besonders behagt.
Und immer wieder erfreuen wir uus überdies der mannigfaltigen, wechsel¬
vollen Bilder, der Schönheiten der einzelnen Pflanze wie des wohlthueuden
Eindruckes der Gesamtheit. Und wie viele Freuden findet der Frennd
der Jagd in diesen Wildnissen! Nicht selten erleben wir dabei recht auf-
regende Abenteuer, so bei Bekämpfung des starken und gewandten Jaguars
uud des luchsähnlichen Marakaya. Das zierliche Reh, der plnmpe
Tapir, das scheue Peccari, das Bisamschwein fallen unter unseren
Kugeln. Hoch droben in den Baumkronen treiben zahllose Affen ihr
lustiges, possierliches Wesen; die interessantesten unter ihnen sind wohl die
Brüllaffen, die am Tage mürrisch uud regungslos im Gezweig hocken,
am Abend aber ihr betäubendes, stundenweit schallendes Brüllen hören
lassen. Ihr Fleisch dient uns auf der Reife im Urwald besonders als
Speise. Um sie zu erlegen, steigt der braune Sohn der Wildnis lautlos
auf einen dichtbelaubten Baum und entsendet seinen leichten, vergifteten
Pfeil uach einem der zunächst sitzenden Tiere; der Getroffene stürzt, aber