Full text: Tier-Geographie (Abt. 2)

24 Charakter-Säugetiere Europas, 
Symbol des Scharfblickes angesehen worden ist. Am Tage 
sitzt er gewöhnlich auf einer Felsenspitze, sonnt sich und beobachtet 
die Gegend; morgens und abends geht er auf Raub aus. Er 
erschleicht feine Beute uach Art der meisten Katzen, im Gebüsche 
oder hohem Grase versteckt; oder er liegt auf einem Aste an 
Orten, wo das Wild, das er liebt, gewöhnlich vorbeigeht und 
springt demselben plötzlich auf den Rücken, schlägt ihm die 
spitzigen Krallen tief ins Genick, zerbeißt die Luftröhre, saugt 
das Blut aus und frißt nur wenig von dem Fleische; das 
übrige verscharrt er, frißt es aber nicht mehr, sobald es zu 
faulen anfängt. Er ist das furchtbarste Raubtier Europas; 
denn sein Blutdurst reizt ihn, mehr zu würgen, als er auf- 
fressen kaun, so daß er in einer Nacht wohl bis 30 Schafe 
tötet. Er lebt einsam und duldet nie andere Raubtiere in 
seinem Reviere. Seine Jagd ist gefährlich, daher fängt man 
ihn gewöhnlich in Tellereisen; doch dürfte die Zeit nicht mehr 
fern sein, wo er nur noch dem Namen nach oder in Museen 
in Enropa vorkommen wird. 
6. Ähnliches kann von seiner Verwandten, der wilden 
Kaize (Catus ferus), vorausgesagt werden. Sie wird gewöhn- 
lich, jedoch keineswegs aus zureichenden Gründen, als die 
Stammutter unserer Hauskatze angesehen, die sie um '/s an 
Größe übertisst. Sie findet sich in den dichten Wäldern und 
Sümpfen von ganz Europa, nur nicht im hohen Norden von 
Skandinavien und Rußland, ist aber überall selten. Sie wohnt 
in hohlen Bäumen, in Erd- und Felsenlöchern und im Schilfe 
unzugänglicher Sümpfe, von wo aus sie besonders des Nachts 
ihrem Raube nachgeht, der in Vögeln und kleinen Säugetieren 
besteht, die sie, auf einem Baumaste lauernd, sehr geschickt im 
Sprunge zu fangen weiß. Der Mensch, der nach ihrem schönen 
Felle trachtet, ist ihr ärgster Feind, der sie in ihrer weiteren 
Verbreitung täglich mehr beschränkt. 
7. Glücklicher als die eben genannten, zu den charakte- 
ristischen Tiereu Europas gehörenden Raubtiere, besteht der 
Wolf (Canis lupus) den langen, blutigen Kampf mit dem 
Menschen; denn aller Verfolgung zum Trotz findet er sich von 
den Pyrenäen bis nach Lappland noch immer, oft scharenweise, 
ganz in der Nähe der Kulturdistrikte, in welche er, vom Hunger 
getrieben, besonders im Winter in mörderischen Streifzügen
	        
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