Full text: Lesebuch für Volksschulen

79 
Pferd nach Haus in die Stadt wollte reiten, wartet auf 
ihn ein Räuber mit kohlschwarzem Gesicht ebenfalls auf 
einem Roß, dem man alle Rippen unter der Haut, alle 
Knochen, alle Gelenke zählen konnte, nur nicht die Zähne, 
denn sie waren alle ausgebissen, nicht am Haber, aber 5. 
am Stroh. „Kind Gottes, sagte der Räuber, ich möchte 
meinem armen Thier da, das sich noch dunkel an den 
Auszug der Kinder Israel aus Egypten erinnern kann, 
wohl auch ein so gutes Futter gönnen, wie das curige 
haben muß dem Ansehen nach. Wenns euch recht ist, 10. 
so wollen wir tauschen. Jyr habt doch keine geladene 
Pistole bei euch, aber ich." Der Quäker dachte bei sich 
selbst: „Was ist zu thun? Wenn alles fehlt, so hab ich 
zu Haus noch ein zweites Pferd, aber kein zweites Le¬ 
ben. Also tauschten sie mit einander, und der Räuber 15. 
ritt auf dem Roß des Quäkers nach Haus, aber der 
Quäker führte das arme Thier des Räubers am Zaum. 
Als er aber gegen die Stadt und an die ersten Häuser 
kam, legte er ihm den Zaum auf den Rücken und sagte: 
„Geh voraus, Lazarus, du wirst deines Herrn Stall 20. 
besser finden, als ich." Und so ließ er das Pferd voraus¬ 
gehen und folgte ihm nach, Gasse ein, Gasse aus, bis 
es vor einer Stallthüre stehen blieb. Als es stehen blieb 
und nimmer weiter wollte, ging er in das Haus und 
in die Stube, und der Räuber fegte gerade den Ruß 25. 
aus dem Gesicht mit einem wollenen Strumpf. „Seid 
ihr wohl nach Haus gekommen?" sagte der Quäker. 
„WennS euch recht ist, so wollen wir jetzt unsern Tausch 
wieder aufheben, er ist ohnedies nicht gerichtlich bestätigt. 
Gebt mir mein Rößlein wieder, das eurige steht vor der 30. 
Thür." Als sich nun der Spitzbube entdeckt sah, wollte 
er wohl oder übel, gab er dem Quäker sein gutes Pferd 
zurück. „Seid so gut, sagte der Quäker, und gebt mir 
jetzt auch noch zwei Thaler Rittlohn; ich und euer Rößlein 
sind mit einander zu Fuß spaziert." Wollte der Spitz- 35. 
bube wohl oder übel, mußte er ihm auch noch zwei Thaler 
Rittlohn bezahlen. „Nicht wahr, das Thierlein läuft einen 
sanften Trab? sagte der Quäker. Hebel. 
121. Seid ihr der König oder der Bauer. 
Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen ge¬ 
krönte Häupter sich unerkannt zu dem gemeinen 40.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.