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„Männer des Geschworncn- Gerichts!" begann der Kanz¬
ler feierlich, „ ich fordere euch auf, Recht zu sprechen vor Gott
und den Menschen über eine That, wie ihr zu richten pflegt
über jegliches, was eurem Schöppenstuhle vorgelegt wird."
„Sagt an — crwicderte der Sprecher — gegen wen tretet
ihr als Klager auf?"
„Gegen den Ritter Kunz von Kaufungcn."
„Was ist sein Verbrechen?"
„Er hat in der Nacht durch räuberischen Einbruch in die
Hofburg meines Herrn, des Churfürstcn Friedrich, diebischer
Weife dessen beide Söhne, die Herzöge Ernst und Albert, geraubt."
„Habt ihr Zeugen?"
„Er ist ergriffen worden auf handhaftcr That von dem Köh¬
ler Georg Schmidt aus Eltcrlein."
„Der Zeuge mag sprechen."
Und hcrcingcführt von einem Diener des Raths trat der
Köhler vor die Versammlung, berichtete seine Gefangennehmung
Kunzens und mußte die Wahrheit seiner Erzählung mit einem
Eide erhärten.
„Beisitzer des Geschworncn-Gerichts," redete der Sprecher,
zu den Uebrigen gewendet, weiter: „Der Ritter Kunz von Kaufun¬
gen hat sich räuberisch vergriffen an unseres Fürsten und Herrn
eignem Fleische und Blute. Wir aber sind verordnet und bestellt
durch den alten Brief des Markgrafen Friedrich mit dem Bisse,
daß wir richten sollen über alle llebelthätcr an seinem Hause. —
Was ist nach unfern Gesetzen seine Strafe?"
Und der Obcrrichter schlug das große Buch auf, welches
vor ihm auf der Tafel lag und las mit lauter Stimme: „Wel¬
cher Mann oder welche Frau auf Raub und Diebstahl bei Tage
ergriffen wird, der mehr denn vier Groschen beträgt, der soll
gestäupt werden; geschieht es bei Nacht, so soll man über ihn
richten zu Haut und Haar; ist der Raub über einen Gulden, so
er bei Tage gestohlen, so soll man ihn brandmarken; war es
Nacht, so hat er den Galgen verschuldet."
Und ein anderes Blatt aufschlagcnd, las er weiter: „Wel¬
cher Mann sich mörderisch oder böslich vergreift an dem
Markgrafen, seinem Weibe, seinen Eltern, Brüdern, Kindern
oder sonstigen Verwandten, der soll mit dem Schwerte gerich¬
tet werden."