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Zahlt).') Ebenso kann jeder berechtigte Wähler, wenn er 1 Jahr in
einem Bundesstaat gelebt hat, selbst gewählt werden.
Der Reichstag hat folgende Rechte: Das Recht der Gesetz-
.gebung (gemeinsam mit dem Bundesrat),^) die Feststellung des
Reichshaushaltsetats (Budget), d. h. der Einnahmen und
Ausgaben des Reiches, also auch der Bewilligung von Reichsanleihen,
-endlich das Recht der Interpellation, d. h. die Befugnis
vom Bundesrat und Reichskanzler in Angelegenheiten des Reiches
Auskunft zu o erlang en.
So unterscheidet sich das Deutsche Reich vom Deutschen Bund durch
Sie Geschlossenheit nach außen und durch die Vertretung
des Volkes bei der Regierung. Dazu kommt noch die
innere Einheit (gegenüber der Zersplitterung im Deutschen Bund); x
Das Deutsche Reich bildet nämlich eine wirtschaft¬
liche Einheit, eine Rechts- und eine Wehreinheit. Eine w i r t -
1 ch a f l l i ch e Einheit ist das Reich aus folgenden Gründen: Alle
Zollschranken zwischen den Bundesstaaten, die teilweise schon der Zoll-
verein und das Zollparlament (S. 147) beseitigt hatten, sind gefallen.
Die Grenze des Reiches ist nun die allgemeine Zollgrenze. In allen
■Bundesstaaten wird dieselbe Münze, dasselbe Gewicht und Maß ge-
braucht. Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen werden einheitlich
"verwaltet (Württemberg unb Bayern haben das Reservatrecht eigener
Postverwaltung; Bayern hat sogar noch eigene Briefmarken) ^). Die
Rechtseinheit zeigt sich in den überall gleichheitlichen Gerichten
(Amts-, Lanb- unb Oberlanbesgerichten); diese fällen ihre Urteile nach
einheitlichem Recht (einheitliches Strafgesetzbuch unb Bürgerliches Gesetz¬
buch). Oberste Instanz aller deutschen Gerichte ist bas Reichs-
Gericht in Leipzig.
Enblich ist bas Deutsche Reich eine Wehreinheit. In allen
Bundesstaaten gilt bie allgemeine Wehrpflicht4), überall werben bie
Truppen in einheitlicher Weise ausgebildet und bewaffnet. Einzelne
Staaten (darunter auch Bayern) haben zwar eine eigene Heeresver¬
waltung, aber auch ihre Truppen unterstehen im Kriegsfall dem Kaiser
als oberstem Kriegsherrn. Die Kriegsmarine ist einheitlich
geregelt und gemeinsame Sache des ganzen Reiche
Deutschland nach 1870/71
An der Spitze des Reiches standen bis jetzt drei Kaiser : Wilhelm I.
'(1871—1888); sein Sohn Friedrich (als preußischer König Friedrich III.,
der nach nur 99 tägiger Regierung 1888 starb; Wilhelm II. seit 1888.
(Wilhelms I. Enkel).- Bis 1890 leitete Bismarck als Reichskanzler die
Geschäfte (f 1898).
*) Vgl. die Wahlen zum bayerischen Landtag S. 132.
2) Ein Reichsgesetz erhält bindende Kraft, wenn es vom Bundesrat und
Reichstag angenommen, vom Kaiser und Reichskanzler unterzeichnet und im
Reichsgesetzblatt veröffentlicht ist.
3) Vgl. den Eintritt Bayerns in das Deutsche Reich unter Heinrich I.;
auch damals erhielt Bayern eine Reihe von Sonderrechten.
4) Wehrpflicht dauert vom 20. bis 39. Lebensjahr: 2 Jahr aktiver Dienst,
2 Jahre Reserve, 12 Jahre Landwehr.