Full text: Grundriß der Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

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Frühling. 
Sah ich ihn doch 
Am Wegrain sitzen 
Mit Blumen im Laar 
And lachenden Augen, 
Wie er mir winkte! 
Da lief ich ihm nach: 
Die Wiese entlang. 
Durch Laselgebüsch 
And wuchernde Ranken, 
Die kreuz und die quer, 
Bis tief in den Wald. 
Nun kann ich nicht mehr! 
In kleinen, wilden. 
Sinnlosen Schlägen 
Schlägt mir das Blut 
Bis zum Lalse herauf. 
Verwirrt sind die Zöpfe, 
Verschoben das Mieder, 
And mitten ins neue 
Tuchene Röckchen 
Riß mir der tückische 
Dornzweig ein Loch. 
Frühling! . . . Verräter! . . . 
Äätt' ich dich jetzt, 
Du solltest mir büßen! 
Wie wollt' ich dich zausen 
An goldenen Löckchen, 
Wie wollt' ich dich rütteln 
And schütteln und — küssen! 
Müde bin ich 
Vom tollen Lauf. 
Ich werf' mich hinein 
In nickende Gräser, 
In träumende Moose — 
Da — über mir. 
Linier mir 
Lör' ich sein Lachen, 
Lör' seine helle, 
Neckende Stimme: 
„Kuckuck! . . . Kuckuck!" . . . 
Jäh fahr' ich empor 
Aus wachendem Schlummer. 
Da wirst mir der Schelm, 
Der sonnige Wildfang, 
Vom alten, knorrigen 
Birnbaum herunter 
Die blühende Last 
Eben erschlossener 
Schneeiger Blüten 
Lerab in den Schoß. 
Rauhreif vor Weihnachten. 
Das Christkind ist durch den Wald gegangen. 
Sein Schleier blieb an den Zweigen hangen, 
Da fror er fest in der Winterluft 
And glänzt heut morgen wie lauter Dust. 
Ich gehe still durch des Christkinds Garten, 
Im Lerzen regt sich ein süß Erwarten: 
Ist schon die Erde so reich bedacht. 
Was hat es mir da erst mitgebracht! 
Des Apfelbaumes Frühlingstraum. 
Sieh, nun schmückt mit lausend Blüten 
Sich vorm Laus der Apfelbaum, 
Selbst sein müdes altes Lerze 
Träumt noch einen Frühlingstraum. 
And ich selber, jung und blühend. 
Sollte ohne Wünsche sein? 
Nein, auch meine Augen träumen 
Sehnend in den Lenz hinein. 
Das Wort vom Scheiden. 
Du gabst mir einst ein kleines Buch 
Voll lieber, schöner Lieder 
And schriebest auf das erste Blatt 
Ein traurig Verslein nieder. 
Ich schüttelte den Kopf dazu. 
Mein Lerze wollt's nicht leiden, 
Klang gar so hart, klang gar so schwer. 
Das eine Wort vom Scheiden. 
Nun hat das Verslein recht gehabt. 
Ist alles so gekommen, 
Wie Abendrot und Feuerschein 
Ist unser Glück verglommen. 
Du wanderst dort, ich wandre hier. 
So helfe Gott uns beiden. 
Daß es uns nicht den Sinn verstört. 
Das eine Wort vom Scheiden.
	        
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