Full text: Alte Geschichte (Theil 1)

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Die Griechen hatten auch Dichterinnen, und haben wir auch nur spär¬ 
liche Ueberreste von ihrer Poesie, so werden sie doch in vielen Schriften des 
Alterthums so sehr gepriesen, daß man darnach ihren Werth berechnen und 
auf die Bildung des weiblichen Geschlechts einigermaßen schließen darf. 
Der kleine Gesang. 
Wenig sprachst du, Erinna, und deine kleinen Gesänge 
Sind unsterblich; cs deckt nie sie der Fittig der Nacht: 
Indeß Myriaden unendlichschwatzender Sänger 
Schon der Moder benagt und die Vergessenheit drückt. 
O ein kleiner Gesang des Schwans, er tönt vor allein 
Wilden Kranichgcschrci, das in den Wolken verhallt. 
Auf eiu Bild der Sappho. 
Sinnend sitzest du da, du Biene süßer Gesänge; 
Sehet, im Bildniß noch trägt sie zusammen ein Lied. 
Aus diesen wenigen Proben kann man schon erkennen, wie sehr die 
Griechen in der Poesie der Natur treu blieben; so war in ihren Empsin- 
dungen und Gedanken Wahrheit und der Eindruck ihrer Darstellung nicht 
peinlich und quälend, sondern versöhnend und beruhigend. Treffend sagt 
I. P. Richter irgendwo: „Mit Wiegenliedern der Seele zieht uns der 
Grieche singend auf ein großes, glänzendes Meer, aber es ist ein stilles." 
H. 8. Gottesdienst und Bürgerthum der Griechen. 
Auch das Glaubenssystem der Griechen zeichnete sich durch Heiterkeit 
und Anmuth aus. Der Grund davon liegt zum Theil darin, daß der 
sämmtliche Gottesdienst mit dem öffentlichen und häuslichen Leben in enger 
Verbindung stand. Da gab es keinen abgesonderten Priesterstand, wie in 
Jndieli und Aegypten; die Fürsten, Feldherren und Aeltesten des Volkes 
waren auch am Tage der gottesdienstlichen Feier Priester. Das weibliche 
Geschlecht war dabei nicht ausgeschlossen, vielmehr gebührte ihm am Feste 
der Göttinnen der erste Rang. Wie bei allen übrigen Völkern, waren auch 
bei den Griechen Opfer gewöhnlich, aber diese Opfer, so heilig sie auch ge¬ 
halten wurden, waren zugleich mit fröhlichen Tänzen und anmuthigcn Spie¬ 
len, Mahlzeiten und dergleichen Vergnügungen gepaaret. Nichts wurde 
ohne Opfer unternommen; vor der Reise und bei der Rückkunft, bei der 
Geburt eines Kindes, bei der Genesung eines Kranken, bei Todesfällen, so 
wie beim Auszuge in's Feld, vor und nach dem Kampfe wurden Opfer dar¬ 
gebracht, ja selbst Schauspiele und Wettkämpfe wurden mit Opfern begon¬ 
nen. Mit diesen weiheten die Griechen das Spiel und erheiterten hinwiederum 
den heiligen Ernst der Gottesverehrung. Gewiß ist es, daß durch diese Art, 
die Götter zu verehren, viel Gutes gewirkt, viel Böses verhindert wurde. 
Die Kraniche des Jbycus, diese schöne Ballade von Schiller, liegt 
für diese Ansicht zu nahe, als daß wir sie nicht erwähnen und darauf hin-
	        
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