Full text: Deutsches Lesebuch für Lehrer- und Lehrerinnen-Seminarien

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Herrgott zufrieden,sein, und wenn's ihm nachher noch so hart ergeht. Im zweiten 
Jahre kani das Ännchen zur Welt, und seitdem liegt meine Frau siech, und das 
Mädel ist lahm. Fünfzehn Jahre!" 
Ich muß gestehn: mich aus meinem Amboß überkam diesem schlichten, ernsten 
Manne gegenüber, dem das Geschick so schwer mitgespielt hatte, ein Gefühl nieder¬ 
trächtigster Beschämung. Wir von heute, besonders ihr hier in Berlin, angekränkelt 
sind wir, so groß wir sind, von eingebildeten Leiden, überflüssigen Zweifeln und un¬ 
gerechten Verbitterungen. Hier stand ein Mann, der weiß Gott nicht an eingebildeten 
Problemen liit. Aber auf seinem Gesichte entdeckte ich nicht eine Falte, die Ver¬ 
bitterung verriet. 
Als wir langsam, unter ruhigen Gesprächen über dies und das durch die warme 
Mainacht dem Dörfchen zuschritten, veranlaßte ich den Schmied, noch einmal auf sein 
Geschick zurückzukommen. 
„Es verdient Achtung," sprach ich, „daß ein frischer Mann wie Ihr das so 
ruhig und ohne Verbitterung aushält. Ich kannte Leute, die sich in ähnlichen schweren 
Verhältnissen dem Trunk ergaben oder sonstwie schlecht wurden. Bei uns zu Hause 
war sogar einer, der ließ Weib und Kind im Elend sitzen und brannte über Nacht 
nach Amerika durch." 
„Das muß ja ein erzliederlicher Schuft sein, der so 'was tut!" erwiderte der 
Schmied. „Und wenn's bei euch dort oben einer getan, so will ich hoffen, daß ihr 
nicht viel von der Sorte im Lande habt. Ich tue hier meine Pflicht, wie nun ein¬ 
mal unser Herrgott will, ob's nun fünfzehn Jahre mit meinen Zweien zu Hause 
so fortgeht oder dreißig. Uud ich bin mit meinem Herrgott zufrieden, das ist die 
Hauptsache, denk' ich, und meine Anna und mein Ännchen auch." 
„Trotz alledem?" fragte ich. 
„Trotz alledem," sagte er ruhig. 
Dann fing er, da es ihm offenbar peinlich war, daß nur von ihm und seinen 
Verhältnissen geredet wurde, ein Reden an über landwirtschaftliche Dinge. Und wir 
waren bald in ein Gespräch verwickelt, das die Zeit bis zum Kreuzweg reichlich aus¬ 
füllte. Mit einem herzlichen Händedruck und einem ruhigen „Glückliche Reise!" verließ 
mich der ernste Mann. 
Meine Gedanken von dort bis ins nahe Städtchen waren andrer Art als zuvor. 
Dieser Schmied machte mir zu schaffen. Hier hatte ich einen Helden gesehen, der 
unter mißlichsten Verhältnissen vornehm und fest auf seinem Posten stand. Ich habe 
mir das eingeprägt. Jener Dorfschmied tritt in jeder trüben Stunde, wo Verzweiflung 
meine Welt zu bezwingen droht, hell vor mein inneres Auge. Ich sehe ihn dann 
mitten in seinem Funkenregen. Die Zange in seiner Linken hält das glühende Eisen 
gefaßt, aus der kräftigen Rechten fährt Schlag auf Schlag auf den sprühenden, 
dröhnenden Amboß. Seine Miene ist ruhig; Angesicht und nackte Arme sind ge¬ 
schwärzt von der rauhen Arbeit; wie ein Herrscher steht er in seiner lichtvollen 
Schmiede. Das Bild eines Mannes, der seine Pflicht tut — mitten int 
Elend, unverbittert, ungebrochen! 
Erst die Pflicht, dann das Gedicht. — Wer feine Pflicht tut, hat genug getan. — 
Wer über feine Pflicht fenffl, der macht flch das Pfund zum Zentner. — Erfülle deine 
Pflicht, alles andere kümmere dich nicht! — 
53. Abendbetrachtungen eines Nachtwächters. 
Von G. V. Th. Starke (1815—1858). 
Da schlägt es drei Viertel auf 10 Uhr; noch ein Viertelstündchen, so 
muß ich fort. Ich könnte dann zwar noch ein gutes Weilchen warten
	        
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