Full text: Die deutsche Geschichte in ihren wesentlichen Grundzügen und in einem übersichtlichen Zusammenhang

Kap 10. Die Völkerwanderung. (Theilung des römischen Reichs.) 55 
dazu, und die Folge war, daß sich einerseits der byzantinische Hof 
durch stärkere Ausprägung des orientalischen Wesens und durch 
Erhebung der griechischen Sprache zur amtlichen dem west¬ 
europäischen Wesen gänzlich entfremdete, anderseits das abendländische 
Römerthum seinen frühern Untergang fand. 
Wegen der Jugend und Schwäche der beiden Regenten hatte im 
oströmischen Reich für den Arcadius der Gallier Rufinus —, im 
weströmischen Reich für den Honorius der kräftige und kluge Vandale 
Stilicho die Reichsverwaltung. Weil Stilicho behauptete, vom 
Theodosius zum Hauptvormund eingesetzt worden zu seyu, öffnete Ru¬ 
finus aus Tücke den Westgothen die Pässe nach Griechenland, so 
daß diese, unter ihrem kühnen, aus dem edeln Geschlechte der Balten 
entsprossenen König Alar ich, Thessalien und Macedonien zer¬ 
störend und plündernd durchzogen. Als Stilicho sie bekämpfen wollte, 
ließ es Rufinus nicht zu; dafür ließ ihn Stilicho ermorden, bekam 
aber an dem Stellvertreter desselben, dem Eunuchen Eutropius, 
einen noch ärgern Feind. Denn als Alarich mit den Westgothen 
fortfuhr, auch Mittclgriechenlaud und den Peloponnes mit 
Feuer und Schwert zu verwüsten, dann sich aber, von Stilicho zurück¬ 
gedrängt, nach Jllyrien zurückzog, so machte Eutropius den Ala¬ 
rich zum Statthalter von Jllyrien und reizte ihn sogar zu 
einem Einfall in Italien. Doch der tapfere Stilicho schlug denselben 
in Ligurien bei Pollen'tia und nach einem erneuten Versuche bei 
Verona zurück (404). Dadurch, so wie daß er auch im folgenden Jahre 
405 den Rhadagais, der von Norden her mit einem Ungeheuern Schwarm 
deutscher, besonders ostgothischer Völker in Italien einfiel, bei F ieso l ä 
(im Florentinischen) schlug, rettete er für damals Italien vom Untergang. 
Dagegen konnte Stilicho nicht verhindern, daß nun die Trüm¬ 
mer dieses vernichteten Völkerschwarms, darunter vorzüglich Vanda¬ 
len, Sueven und Alanen, in Gallien cindrangen und zugleich die 
obern Rheinvölker zu einer neuen Stellung veranlaßten. Es wurden 
nämlich daselbst die Alemannen und Burgunden mit in die Be¬ 
wegung gerissen, indem jene nun auch im Elsaß Fuß.faßten (s.K. 9, 2.), 
diese aber bis Mainz vorrückten und auf beiden Seiten den Grund zu 
dem nachher so mächtigen Reich der Burgunden (mit der Hauptstadt 
Worms) legten, das sich in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts 
bis hinab zum Mittelmeere und bis an die 6ev enn en 
und Vogesen a u s d e h n t e. 
Nachdem jene oben genannten Völker drei Jahre lang in Gallien 
verwüstend umhergezogen waren, brachen sie über die Pyrenäen in
	        
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