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Um diese selbige Zeit wurde plötzlich die einzige Brücke, welche an
der andern Seite der Stadt den Franzosen zur Rettung diente, über
den Elster-Mühlgraben, in die Luft gesprengt, — es ist nicht entschieden,
ob auf Napoleons Befehl, der den Feind an der Verfolgung hindern
wollte, oder durch Furchtsamkeit und Voreiligkeit eines Feuerwerkers,
wie der französische Bericht angiebt, der dort zur Wache aufgestellt war.
Alle aber, die sich noch auf dem Wege zu dieser Rettungsbrücke hin—
drängten, stießen einen Schrei des Entsetzens aus und zerstreuten sich nach
allen Seiten, um noch einen Ausgang zu finden. Es war keiner mehr.
Viele stürzten sich aus Verzweiflung in die Elster, um hindurchzu—
schwimmen, allein sie kamen fast alle in dem Flusse um oder blieben
in seinen sumpfigen Ufern stecken. Auch einige der Feldherrn, die noch
zurück waren, sprangen mit ihren Pferden in das Wasser, um der Ge—
fangenschaft zu entgehen; aber einer der ersten, der polnische Fürst
Poniatowsky, den Napoleon noch eben zum französischen Marschall
gemacht hatte, ertrank in dem Flusse; Macdonald entkam. Unter denen,
die gefangen wurden, waren Reynier, Bertrand und Lauriston.
An diesem Tage verlor Napoleon noch mehr als in den Tagen der
Schlacht. Über 15000 waffenfähige Krieger, die durch das Sprengen der
Brücke abgeschnitten waren, wurden gefangen; an Verwundeten aber und
Kranken blieben noch 25000 der Gnade der Sieger überlassen. Der
Kanonen und Wagen, die bei und in der Stadt stehen geblieben, war eine
unübersehbare Menge; auf der Landstraße allein standen 105 Kanonen
zusammengefahren. Es sind ihrer in diesen Tagen gegen 400, mit
1600 Wagen, erbeutet worden. Das war ein Trümmerhaufen, wie ihn
die Geschichte selten aufzuweisen hat.
Nach 1 Uhr zogen Alexander und Friedrich Wilhelm mit dem
Gefolge ihrer Feldherrn unter lautem Siegesgruße ihrer tapfern Scharen
und dem Freudengeschrei der Einwohner in die nun errettete Stadt ein.
Wenige Stunden nachher kam auch der Kaiser Franz, der dritte im
Bunde. Es war ein großer Augenblick, als sich die drei nun die Rechte
reichen und zu der Errettung Deutschlands und der Begründung einer
neuen Ordnung in Europa Glück wünschen konnten. Sie erkannten es
wohl, daß dieser Sieg kein Werk menschlichen Witzes und menschlicher
Klugheit sei, sondern daß der Gott der Gerechtigkeit sich selbst in diesem
Siege des Guten über das Böse dem jetzigen Geschlechte kund thue,
damit es sich wieder mit ganzem Herzen zu ihm wende. Als am Tage
zuvor der Oberfeldherr zu ihnen herankam, die auf einem Hügel zu—
sammen des Kampfes Ausgang erwarteten, und ihnen nach den von
allen Seiten erhaltenen Nachrichten den Sieg der gerechten Sache ver—
kündigte, da fielen die frommen Herrscher auf ihre Kniee nieder und
dankten im stillen Gebete dem unsichtbaren Geber so großer Wohlthat.
Friedrich Kohlrausch.