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§. 7. Baukunst. Musik.
Neben den Schätzen der Poesie bleibt noch eine Hauptseite des mittel¬
alterlichen Lebens zu berühren, in welcher es seine herrlichsten und gro߬
artigsten Denkmale hinterlassen hat, die Baukunst.
Nächst der Dichtkunst findet der Geist und Charakter eines Volkes
keinen deutlicheren und unmittelbareren Ausdruck, als in der Architektur.
Wie der Mensch lebt und denkt, so baut, so wohnt er. Fremde Muster
ahmt er nach, in wie weit es ihm bequem ist, und seine Ideen drückt er
in den Werken seiner Hände aus. Man könnte sagen, daß sich der allge¬
meine und öffentliche Charakter eines Volkes in steinernen Urkunden auf
ferne Zeiten vererbe, und daß ein ganzes Zeitalter sein ganzes Leben und
Streben durch seine Denkmale am unzweideutigsten bezeuge. Es gilt dies
von der Baukunst der alten Welt, wie von der des Mittelalters. Beide
gingen von der Religion ans, beide suchten die Ideen ihrer Religion durch
Tempel und Dome zu versinnbildlichen.
Es erregt Staunen und verdient Bewunderung, daß die italienischen
wie die deutschen Städte, trotz des wilden Kriegeslärmes jener Zeit, durch
begeisterte und ausharrende Thätigkeit so viele und so große Bauwerke zu
Stande brachten. In Rom wurden während der Zeiten der Hohenstaufen
allein über zwanzig neue Kirchen gebaut. Eine Stadt wetteiferte mit der
anderen in edlen Bauwerken; es erhoben sich Rath-, Kranken- und Wai¬
senhäuser, Klöster und Paläste, Thürme und Brücken, und selbst die Wohn¬
häuser begannen mit größerer Sorgfalt behandelt zu werden, als dies
früher der Fall war.
Schon zur Zeit Kaiser Friedrich's I. begann in Deutschland eine neue
Kunstepoche. Die Kapellen in Eger, der Palast in Gelnhausen zeigen noch
eine Mischung verschiedener Style; antike, byzantinische, saracenische Ele¬
mente verschmolzen sich, gleich wie bei den Bauwerken Italiens, in dieser
Zeit. Unter Friedrich II. aber war der wunderbare Banstyl vollkommen
entwickelt und in Blüthe getreten, den wir den gethischen nennen, mit
vollem Rechte aber den deutschen nennen sollten. So stehen die Mün¬
ster zu Straßburg und Freibnrg, der Kölner Dom und noch so viele an¬
dere Meisterwerke deutscher Kunst zum Ruhme des deutschen Volkes.
Jahrhunderte waren zu ihrer Vollendung nöthig, Jahrhunderte ziehen an
ihnen vorüber, sie trotzen der Zeit und werden einst den späten Geschlech¬
tern den Geist der Vergangenheit deuten, wie sie auch unsere Lehrer und
Bildner geworden sind. Von den Namen der edlen Meister, die solch
große und herrliche Werke ersonnen und ausgeführt, sind nur wenige auf
uns gekommen. Der Baumeister des Straßburger Münsters, Erwin
von Steinbach, steht an der Spitze der deutschen Baukünstler, deren
schlichter Brauch es war, zur Ehre Gottes und zum Nutz und Frommen