Full text: [Geschichte des Mittelalters] (Theil 2)

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Da ich die Sach' hatt' g'fangen an, 
Gott wöll' sie trösten; es muß gähn, 
Und sollt' es brechen auch vor'm Cnd', 
Will's Gott, so mag's nicht werden gewend, 
Darum will ich brauchen Fuß' und Hand'. 
Ich hab's gewagt." 
Schlußwort. 
Ueberblicken wir noch einmal die Zeit, von dem Punkte an, wo Her¬ 
mann die Römer schlug und das stolze Rom selbst dem deutschen Arme 
erlag, wo unsere Stammväter die europäischen Länder überflutheten, sich 
neue Wohnsitze wählend; sehen wir, wie nach der großen Völkerwande¬ 
rung Christenthum und Kaiserthum, Lehnwesen und Priesterherrschaft, 
Ritterthum und Städtewesen, Erfindungen aller Art und Entdeckung 
ferner Länder der Geistesentwickelung freie Bahn machten, — so mögen 
wir, bei so widersprechenden Erscheinungen, bei so viel Herrlichem und 
Großem, bei so viel Mißbrauch und Verirrung, wohl fragen, wo hier ge¬ 
priesen und wo verdammt werden soll. Sollen wir das Ritterthum, die 
Kreuzfahrten, das Klosterleben, das allgewaltig herrschende Papstthum, das 
Lehnwesen und Faustrecht, die Knechtschaft des Volkes zurückwünschen? 
Oder müssen wir über die bürgerlichen und geistigen Zustände jener Zeit 
den Stab brechen? Sollen wir mit vornehmem Mitleid auf unsere Alt¬ 
vorderen zurücksehen, „dem Sperling gleich, der sich auf des Adlers Flü¬ 
geln zur Sonne schwingt," weil wir die Früchte des Baumes nun reif 
abschütteln können, des Riesenbaumes, den das Mittelalter so prächtig zur 
Blüthe gebracht? — 
Die Wahrheit liegt nahe. In den schärfsten Kontrasten nur 
entwickelt sich der Geist der Geschichte. Jeder Tag hat seine Nacht, 
jedes Licht seinen Schatten, jeder Berg sein Thal; und Gott sei Dank, 
dem vorurtheilsfreien Blicke wird das Große und Herrliche in der 
ganzen heiligen Weltordnung allenthalben das Schlechte und Verwerfliche 
der Einzelnheiten überwiegen. Warm und innig fühlten die Herzen der in 
Eisen gewappneten Männer; ihr Glaube war nicht Lüge, sondern ein den 
Tiefen der Brust entsprossenes Gefühl, ihre Unwissenheit unverschuldete 
Einfalt. Wohl lastete ihr Herrscherarm schwer auf dem Volke, allein es 
war die Kraft der Mannheit, die den Arm erhob, und in der Umfangung 
des mittelalterlichen Herrscherthums wuchs und erstarkte die Nation für 
die neue Zeit der geistigen und bürgerlichen Freiheit heran. 
Die Einheit des deutschen Volkes, die völlige Ausbreitung des Chri¬ 
stenthums, der Sieg über die nach weltlicher Herrschaft strebende hierar¬ 
chische Gewalt, das Alles haben wir als Erbschaft des Mittelalters über¬
	        
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