190 Zweiter Zeitraum.
dem Großen. Aber Karl begnügte sich nicht damit,
König zu seyn, er wollte Kaiser heißen; doch er strebte
nicht allein nach dem Titel, sondern er war auch Wil¬
lens, das römische Kaiserthum in den Abendländischen
Provinzen wieder mit Ehren aufzurichten, das, wie
Ihr Euch erinnert, von Odoacer, seit länger als
dreihundert Jahren vernichtet worden war. Diese
Herrschaft wollte er dann mit dem ausgebreiteten
Frankenreiche vereinigen; Ihr wisset, daß ich Euch im
letzten Abschnitte sagte, daß er die Unterstützung des
Pabstes nöthig hatte. Nun sehet Ihr also, wozu: Der
Pabst sollte ihm, dem Lehnsherrn von Rom helfen,
daß er römischer Kaiser würde. Das konnte der hohe
Geistliche am besten, denn er beherrschte durch seine
Würde die Gemüther der Römer. Und so erreichte
der kluge Karl jetzt seinen Zweck. Es war im Winter
des Jahres 800, gerade am ersten Weihnachtstage, als
der Pabst Leo HI. ihm zu Rom in der Peterskirche
am Altare die Kaiserkrone auf das Haupt setzte, ihn
mit dem heiligen Oele salbte, vor allem Volke zum rö¬
mischen Kaiser ausrief, und von der versammelten
Menge ausrufen ließ. (Seit dieser Zeit konnte kein
Fürst römischer Kaiser seyn, an dem nicht der Pabst
die Salbung vollzogen hatte- Das merket Euch im
Vorbeigehen.) Karl war nun Beschützer des Pab¬
stes und römischer Kaiser. (Bis 1805 dauer¬
te die Würde des römischen Kaisers, den man
aber in neuern Zeiten, als die Herrscher Rom nicht
mehr besaßen, schicklicher den deutschen Kaiser
nannte.)
Wenn ich sagte: Karls Reich war groß, so halte
ich es für nöthig, Euch eine Ansicht von der Größe der