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sein geachtetes Amt 'zur höchsten Freimüthigkeit 
autoristrte, bald mit Spott, bald mit Galle über 
das Thun und Denken anderer Menschen ohne 
Schonung reden zu hören. Daß ein Mann, der 
so etwas predigen durfte, und den mithin die 
Großen selber fürchten mußten, eine ganz ande- 
re Autorität, als unsere Geistlichen, hatte, ist 
leicht einzusehen. Selbst das heilige Ansehen der 
Bibel, die man bei dem schlechten Zustande der 
Wissenschaften im i7t:n Jahrhundert für das 
Buch aller Bücher hielt, gab denen, die ste auf 
der Kanzel recht sinnreich und erbaulich auszule- 
sen wußten, einen Ruf von Gelehrsamkeit, den 
alles Spötteln der Juristen und Aerzte nicht zu 
verringern vermochte. Die bloße Erscheinung 
manches würdevollen Kanzelredners erregte da¬ 
mals schon Ehrfurcht, jedermann suchte seine Zu¬ 
neigung durch Geschenke zu erkaufen, und jedes 
seiner Worte galt für ein Orakel. Man machte 
sich Gewissensbisse, an einem Sonntage die Kir¬ 
che zu versäumen; während eines Gottesdienstes 
wurden die Thore und die Kaufläden geschlossen, 
und jedes Geräusch untersagt. Die Sonntags, 
abende selbst wurden der häuslichen Andacht ge¬ 
widmet, und sie mit Vergnügungen auszufüllen 
ward für Entheiligung gehalten. Seitdem die 
Polemik und die speeielle, ja persönliche Kritik 
von den Kanzeln verbannt worden, hat die geist,
	        
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