Das britische Reich.
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DeS Morgens fängt das Leben in London später an als bei
uns. Selbst an den schönsten Sommertagen sind die Straßen
bis 7, selbst Z Uhr sehr menschenleer. Man begegnet fast wenigeren
Fußgängern als Postkutschen, die nach allen Richtungen abgehen,
desgleichen den großen Kohlenwagen, die von 7 ungeheuren Nossen
vom User der Themse durch enge Gänge nach der Hauptstraße
hinaufgeschleppt werden, um alle Häuser mit Brennmaterial zu
versehen. Diese Kohlen sind in starken Säcken neben einander
geschichtet, aus welchen sie vor jeder Hausthüre durch runde,
mit einer beweglichen Eisendccke versehene Oeffnungen gleich in
das Küchen- und Kellergeschoß hinabgeschüttct werden, ohne das
Innere des Hauses zu berühren. Daneben begegnet man den flci;
nen Unglücklichen, welche um die von Ruß gefüllten Schornsteine
zu reinigen, sich in die engen Schlüfte hinaufzwängen müssen, und
in dem härtesten und traurigsten aller Geschäfte um ihre schönen
Kinderjahre, oft um Gesundheit und Leben kommen. Es ist ein
Iammeranblick, wenn man die 7 — 8 jährigen Knäbchen, an de¬
nen nichts weiß ist, als etwa das Auge, die Borstbesen in der
Hand, einen Sack auf der Schulter, eine schwarze Binde um
den Kopf, ihr kläglich tönendes Sweep (swihp), d. i. Kehren!
ausrufen, oder in kleinen Gassen aus den Kellern elender Häuser,
wo sie die Nacht zubringen, wie aus einem unterirdischen Nest,
die kleinen Mohrenköpfe herausstecken und nach Luft schnappen
sieht. Fast eben so widrig ist der Anblick der Kccidcraufkäufer,
die: old Clotlis (old Klahs), d. i. alte Kleider! ausrufend, jeden
Morgen die Straßen mit großen Säcken durchziehen, oder gar
der schmutzigen Gesellen, die durch ihr gellendes: Cats bee£
(Kehts Bih-f), d. i. Katzenfleisch! zum Futter für Katzen und
Hunde Käufer einladen, und ihnen den ekelhaften Fraß genau zur
wägen- In den Fahrwegen der Straßen sind die Gassenkehrer
beschäftigt, den Koth wegzuschaffen; vor den Häusern aber die
Hausmädchen, die Fußtritte und Steinwege zu scheuern. Freund¬
licher erinnern die Milchfrauen, mit ihren reinlichen hölzernen und
kupfernen Eimern, an die nahe Stunde des Frühstücks. Nach
und nach werden die Kaufläden ihrer nächtlichen Decken entkleidet.
Die Lehrlinge sind emsig mit dem Abreiben und Putzen der Glas¬
fenster beschäftigt. Der bunte Waarenschmuck erscheint wieder,
und jetzt kaun man ungestört vom Gedränge alles am gemächlich/
sten beschauen.
Gegen 9 Uhr und früher noch in der City als in West-
minster — mehrt sich die Menschenmenge. Die Kaffeehäuser fül/
len sich mit jeder Stunde. Die Tagsblätter sind erschienen, und
jeder eilt, des einen oder des andern habhaft zu werden. Die
Sitze und Tische sind durch fast mannshohe Scheidewände von
Mahagonyholz von einander geschieden, und man sucht die leeren
Plätze, um desto ungestörter die Neuigkeiten des Tages aus die¬
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