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Helden und Weise sind hier versammelt und herrschen mit gleicher Macht in ihrem 
eigenen freien Geisterreiche. Zeit, Raum und Rang — Alles was sie hier auf 
Erden trennte, ist verschwunden; alle irdischen Schranken sind gefallen, und die 
entfesselten Seelen begegnen sich und werden Eins im Elemente der Wahrheit und 
Schönheit. Ein und derselbe Strahl göttlichen Lichtes durchleuchtet die Züge dieser 
verschiedenen Köpfe. Wir fühlen uns nicht fremd hier, sondern unter theueren 
Freunden und Wohlthätern, in der rechten Heimath, in deren Luft die Seele frei 
athmet und ihre Flügel entfaltet. 
Zwischen den Büsten erheben sich, aus weißem carrarischen Marmor gebildet, 
die himmlischen Gestalten der Walkyren, weiche die Edeln in der Walhalla bewill¬ 
kommnen und ihnen deutsche Eichenkränze reichen. Marmorne Sessel und Kande¬ 
laber sind ringsum im weiten Saale vertheilt. Wir treten durch das hohe Mar¬ 
morthor wieder in's Freie und betrachten nun auch noch die Vorderseite des schönen 
Gebäudes, das hocherhaben auf seinen cyklopischen Mauern, weißglänzend im tief¬ 
blauen Himmel vor unseren Augen leuchtet, dann die Statuengrüppe des südlichen 
Giebelfeldes: Germania, umgeben von den Repräsentanten der vom französischen 
Joche befreiten Völker, Rauch's und Schwanthaler's Werk, das wie eine Mahnung 
zu ewiger Dankbarkeit und ewiger Vorsicht, weithin den Blicken sichtbar, diesen 
Tempel deutschen Ruhmes überragt. 
Nur mit Mühe trennen wir uns von diesem Prachtbaue, aber nicht ohne ein 
stolzes Gefühl, das uns zuruft: „Auch du bist ein Deutscher! Auch dir gehören 
jene Großen in der Halle!" 
166. Das Königreich Würtemberg. 
Obgleich nur ein kleines Königreich, hat Würtemberg doch vieles Merkwürdige. 
Es ist der rechte Sitz der Schwaben, welche einst einen Hauptstamm unter den 
deutschen Völkern ausmachten. Das Volk ist treu, herzlich, dabei fleißig und zu 
vielerlei Geschäften tüchtig. Das Sprüchwort, daß ein Schwabe erst mit 40 Jahren 
verständig werbe, ist wohl nur insofern wahr, als die Schwaben aus allzugroßer 
Treuherzigkeit sich, so lange sie jung sind, leichter bethören lassen und erst nach ge¬ 
machten Erfahrungen vorsichtiger werden. Freilich hat die würtembergische Regie¬ 
rung jetzt auch viel für die bessere Bildung des Volkes gethan, und es finden sich 
nur noch Wenige, welche nicht hinreichend im Lesen, Schreiben und Rechnen, sowie 
in der Religion unterrichtet sind. Eben so haben die Gelehrtenschulen und die Uni¬ 
versität Tübingen viel geleistet, so daß Würtemberg unter die gebildetsten Länder 
Deutschlands gerechnet wird. Auf den 360 Q.-M., welche das Land beträgt, und 
welche viel GebirgSland enthalten, wohnen 1,700,000 Menschen, also auf 1 Q.-M. 
fast 5600. Da muß fleißig gearbeitet sein, wenn Jeder sein Brod finden will. 
Das thun denn auch wirklich die Würtemberger; Viele aber wandern auch aus und 
suchen sich in der Ferne eine neue Heimath, oder treiben auswärts Handel, wie die 
schwarzwälder Uhrmacher. Dabei behalten sie jedoch immer große Anhänglichkeit an 
ihre Heimath und verlieren niemals ihre schwäbische Mundart, welche zwar breit, 
aber zugleich sehr gutmüthig klingt. ^ 
Die Hauptstadt des Landes ist Stuttgart in einem nach dem Neckar zu 
gehenden Thale, welches mit Reben und Obstbäumen reich bepflanzt ist. Ihre 
Einwohnerzahl ist auf 50,000 angewachsen, so daß man es jetzt zu den großen 
Städten zählen kann, in welchen ansehnliche Gebäude, Kunst- und Naturaliensamm¬ 
lungen, Theater und andere Vergnügungsanstalten nicht fehlen. Von allgemeinem 
Interesse für jeden Deutschen ist das dem aus Würtemberg gebürtigen großen 
Dichter Schiller errichtete Denkmal. Er allein würde sein Vaterland allenthalben 
berühmt machen, darum wäre es undankbar gewesen, wenn man sein Andenken in 
der Hauptstadt von Schwaben nicht geehrt hätte. 2 Meilen im N. von Stuttgart 
liegt die im 18. Jahrhundert angelegte zweite Residenz, das regelmäßig und schön 
gebaute Ludwigsburg (10,000 E.). Am Neckar liegt die Landesuniversität 
Tübingen (10,000 E.). Cannstadt (7000 E.) ist eine Handelsstadt, in einer 
überaus bevölkerten Gegend. In Marbach ist Schiller 1759 geboren. Tief im 
Schwarzwalde zieht das Wild bad mit heißer Quelle viele Fremde heran. Zu den 
merkwürdigen Orten Würtembergs gehört noch das Städtchen Weinsberg, von 
dessen Weibern ein berühmtes Beispiel der Treue erzählt wird. Als nämlich der 
deutsche Kaiser die Stadt, welche sich zu seinen Feinden gehalten hatte, belagerte,
	        
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