Full text: Die Geschichte des deutschen Volkes

212 
Viertes Buch. Dritter Abschnitt. 
als allertheuerstes Gut ihren Kindern und Kindeskindern verbliebe. Das 
beschworen die frommen Männer bei dem allmächtigen Gott und seinen 
Heiligen. Dann gingen die Eidgenossen heim und erwarteten still und ver¬ 
schwiegen die rechte Stunde für ihr Werk. 
Inzwischen hatte Geßler in seinem Argwohn sich vorgenommen, die 
Herzen derer zu erforschen, welche seinem Regiment und dem Hause Oester¬ 
reich am meisten abhold wären. Deshalb ließ er im Lande Uri den Her- 
zogshut von Oesterreich auf einer hohen Stange aufrichten, mit dem Ge¬ 
bot: Jeder, welcher des Weges käme, müsse sich vor dem Hute neigen und 
demselben Ehrfurcht beweisen. Da kam Wilhelm Tell,'ein Mann aus 
Bürgten in Uri, der auf dem Grütli mitgeschworen hatte, weit und breit 
bekannt als der beste Schütze und als ein Mann, der zu Allem beherzt sei. 
Der wollte dem Hut nicht Ehrfurcht beweisen. Als der Vogt dies ver¬ 
nahm, kam er voll Grimms herzu, ließ den Tell greifen und that nach 
Uebermuth also mit ihm: Er ließ des Tells Kind an eine Linde hinstellen 
und einen Apfel auf des Kindes Haupt legen, und gebot dem Vater, weil 
er ein so guter Schütze sei, solle er zur Stelle den Apfel vom Haupt des 
Kindes herabschießen. Mit Gottes Hülfe unterwand sich der Tell der That 
und traf glücklich den Apfel, ohne seines Kindes Haupt zu verletzen. In¬ 
dessen hatte der Vogt genau auf des Tells Miene und Geberden geachtet 
und wie Alle Gott priesen, daß Er dem braven Mann geholfen, sprach er 
zu ihm: „Du bist ein wackrer Schütze! Doch sag mir an: Ich sah, wie 
du einen andern Pfeil hinten ins Goller stecktest; wofür war der?" Da 
säumte der Tell mit der Antwort und wollte sich entschuldigen: „das sei so 
Schützenbrauch". Doch der Vogt in seinem Argwohn nahm dies nicht an 
und sprach: „Tell, es ist ein andrer Grund; den sag mir fröhlich und 
frei; du sollst deines Lebens sicher sein." Da erwiederte der Tell: „Wohlan, 
Herr, weil ihr mich meines Lebens versichert habt, so will ich euch gründ¬ 
lich die Wahrheit sagen. Wenn ich mein Kind getroffen, dann hätte ich 
euch selbst mit dem andern Pfeil erschossen, und eurer nicht gefehlt." Wie 
der Vogt dies vernahm, sprach er: „Deines Lebens hab ich dich gesichert 
und will dies halten. Weil ich aber deinen bösen Willen erkannt, so will 
ich dich führen und hinlegen lassen an einen Ort, wo du Sonne und Mond 
nimmermehr sehen sollst, damit ich vor dir sicher sei;" und ließ ihn fangen 
und binden und führte ihn mit sich über den Waldstättersee; denn er wollte 
ihn nach Küßnacht bringen auf sein Schloß und dort in den Thurm wer¬ 
fen. Wie sie aber dahin fuhren auf dem See, und jenseits des Grütli ka¬ 
men, da ward der wilde Wind los, welcher der „Föhn" heißt, der See 
ging hohl und die Wellen schlugen hoch auf und tief nieder, daß den Vogt 
ein Grausen ankam um sein Leben. In solcher Todesnoth ließ er dem Tell, 
welcher gebunden da lag, die Fesseln lösen, daß er, als ein starker und der 
Fahrt auf dem See wohl kundiger Mann, ihn errette. Nun führte der Tell 
das Fahrzeug mit Macht gegen Wind und Wellen; wie sie aber an den 
Arenberg kamen und der Tell eine Felsplatte ersah, drückte er das Schiff 
hart daran, ergriff rasch sein Schießzeug, sprang aus dem Schiff aufTie 
Platte und stieß das Schiff mit dem Fuß gewaltig in den See hinaus; 
so war er aus des Vogts Gewalt frei. Jene Platte heißt seitdem die Tel¬ 
lenplatte. Hierauf entrann der Tell eiligen Fußes durch Schwyz und legte 
sich in die hohle Gasse bei Küßnacht, wo der Geßler des Weges kommen 
mußte. Und als derselbe heranritt, voll böser Anschläge auf den Tell, da 
durchschoß ihn dieser mit dem zweiten Pfeil, daß er todt vom Rosse fiel; so
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.