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diger und die Schulkinder versammelt. Jetzt bewegte sick der Zug.
Vor der Leiche ritten die Verordneten des Churfürsten und die Grafen
von Mansfeld mit 65 Pferden; hinter denselben fuhren Luther's Ge¬
mahlin Katharina, seine 3 Söhne, sein Bruder nebst andern Ver¬
wandten. Ueberall hörte man Weinen und Wehklagen, und von allen
Orten war viel Volks herzugeströmt. In der Schloßkirche hielt
11. Bugenhagen, auch Pomeranus genannt, eine Leichenrede,
welche die Versammlung mit großer Rührung anhörte. Vor und
nach der Rede stimmte man Trauerlieder an, und nun ward der Sarg
in die Gruft gesenkt, nahe bei der Kanzel, auf welcher der Verewigte
so oft gepredigt hatte. Eine einfache Grabschrist auf einer messingeneu
Platte ist noch jetzt zu lesen.
Als Karl V. nach der Eroberung von Wittenberg 1547 die
Schloßkirche besuchte, ließ er sich auch das Grab Luther's zeigen. Ihm
zur Seite standen der grausame Herzog Alba und der Bischof Gran-
vella. Der Kaiser stand mit tiefem Ernste an der Stätte, wo der
große Reformator schlummerte, den er schon auf dem Reichstage zu
Worms nicht ohne stille Hochachtung betrachtet hatte. Auf einmal
thaten ihm seine beiden Begleiter den Vorschlag, er möge die Gebeine
dieses gefährlichen Ketzers ausgraben und verbrennen lassen. Aber
Karl V. erwiderte feierlich: „Lasset ihn liegen; er hat seine Richter
bereits gefunden; ich führe keinen Krieg mit den Todten, sondern mit
den Lebendigen!" Dieser Ausspruch macht dem mächtigen Fürsten eben
so viel Ehre, als die Festigkeit, mir der er auf dem Reichstage zu
Worms die gewissenlosen Rathgeber von sich wies, welche ihn über¬
reden wollten, daß er sein gegebenes Wort, dem Ketzer Luther sicheres
Geleit zu bewilligen, nicht zu halten brauche.
Lllther's Nachkommen.
Was die Nachkommen Luther's betrifft, so grünten mehre Zweige
des unvergeßlichen Reformators, obgleich unberühmt, bis in die Mitte
des vorigen Jahrhunderts. Da schien mit Erlöschung der Dresdener
Linie, von Paul Luther, auf einmal das ganze Geschlecht des Mannes
Gottes ausgestorben zu sein. Indeß hatte zu Erfurt der letzte Zweig
aus Luther's Familie in Armuth und Dürftigkeit noch lange nachher
fortgelebt. Als nun das Martinstift, wo 400 arme Kinder erzogen
werden, am 11. Nov. 1821, als dem Taustage D. Martin Luther's,
in dem Augustinerkloster zu Erfurt gegründet worden war, erhielt
dasselbe im Jahre 1825 von dem Uhrmacher Ulrich zu Erfurt, der
sich mit einer Frau aus Luther's Geschlecht verheirathet hatte, einen
Stammbaum der Erfurter Luther's-Familie zum Geschenk. Rein¬
thal er, der Vorsteher des Martinstiftes, überdachte jetzt, wie schön