Full text: Lesebuch für hannoversche Volksschulen

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rn Gottes Namen mit den andern allen, die nicht daheim bleiben 
können; vielleicht daß mir der Herr den Gang für mich und andere 
segnet." Und er bot der treuen Lebensgefährtin die Hand und ging. 
Der Weg nach der Krönungsstadt wimmelte von Fußgängern und 
Reitern; die Fremden eilten vorüber und beachteten den einzelnen 
nicht, die Bekannten aber riefen ihm Grüße zu, sprachen auch wohl ein 
Wort mit ihm, und allen gab er freundlich Bescheid, und trug sie in 
feinem Herzen; denn das Herz des alten Holznrann war ein gar weites 
und reiches, und hatte gar mancher ein Plätzchen darinnen und einen 
Betaltar. 
Auch heute gedachte er seiner Freunde, die an ihm vorübereilten, 
gar herzlich; wie sie ihn geliebt, wie sie ihm wohlgethan zu vielen 
Malen, dessen freute er sich vor dem Herrn und war gar fröhlich in 
seinem Herzen. Auch des Kaisers, der heute gewählt werden sollte, 
gedachte er vor dem Herrn, und bat für ihn uni ein weises und from¬ 
mes Herz, auf daß alle seine Unterthanen ein ruhiges und stilles Leben 
führen inöchten in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. 
Indem kommt ein Hündchen auf ihn zugelaufen, und er hat sein 
nicht acht, denkt bei sich, da es den Schwanz herabhängt, es habe 
seinen Herrn verloren. Auch als das Hündchen an ihni hinaufspringt, 
kümmert es ihn nicht; er wehrt das Thier mit der Hand von sich und 
will weiter gehen. Jetzt fühlt er aber einen tiefen Biß in seinem Beine 
und noch einen zweiten, und sieht sein Blut durch die Strümpfe in die 
Schuhe fließen; und ein genauerer Blick auf den Hund überzeugt ihn 
sogleich, daß der Hund toll sei. 
„Barmherziger Gott!" ruft er, „erbarme dich meiner, und führe 
es zum guten Ende. Dir sei Leib und Seele befohlen!" Und mit 
schnellen Schritten eilt er dem Hunde nach, ereilt ihn, wie er eben an 
einer Frau, die des Weges kommt, hinaufspringt, und schlägt ihn mit 
seinem Rohrstock nieder. 
Aber was nun beginnen? Nach Hause zu den Seinen zog ihn 
sein Verlangen; aber die Stadt lag näher, dort verspricht er sich 
schnellere Hülfe. Er eilt zu einem Arzte, der ist nicht zu Hause; zu einem 
zweiten, auch der ist abwesend. Er klopft an alle Thüren, wo Bader 
wohnen, endlich an alle Barbierstuben: niemand hört ihn an, niemand 
will ihm helfen; die Kaiserwahl und die Augenlust liegt heute allen 
näher am Herzen, als ein Menschenleben. 
Indem er nach dem Arzte sucht, stößt ihn die wogende Menge 
dahin und dorthin. Er hört die Glocken von allen Türmen läuten, 
sie klingen ihm wie Grabgeläute; er sieht den Zug mit dem ge¬ 
wählten Kaiser aus dem Dome nach dem Römerberge ziehen, trotz 
der bunten Kleider kommt ihm der Zug wie sein eigener Leichenzug 
vor. Jetzt, als der Kaiser sich auf dem Balkon des Römers dem 
Volke zeigt, als das Volk sich um die ausgeworfenen Krönungs¬ 
münzen, um den gebratenen Ochsen und um den Haferberg tummelt 
und schlägt, da erfaßt seine Hand endlich den ersehnten Arzt, und 
er bittet und beschwört ihn, ihm zu helfen. Aber der Arzt vergißt 
seiner Pflicht; er tröstet ihn damit, der Hund sei wahrscheinlich gar
	        
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