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erscheinen als kreisförmige Wellen, deren Mittelpunkt genau eben so weit
hinter der Wand liegt, als der wirkliche Ursprungspunkt vor derselben.
Ganz dieselbe Erscheinung zeigt das Licht, wenn es von einer Ebene gespiegelt
wird. Anders aber gestalten sich die Wellen, wenn sie auf gebogene Flächen
treffen. Der Hohlspiegel macht für gewöhnlich ein größeres, der Bauchspiegel
ein kleineres Bild; auch daß der Hohlspiegel die Wärmestrahlen der Sonne
beinahe wieder in einen Punkt vereinigt und dadurch Gegenstände anzündet,
ist eine Folge derselbigen Spiegelung, und daß das Echo oder der Wider¬
hall auf denselben Gesetzen beruhe, braucht kaum gesagt zu werden.
136. Die Lichtstrahlen.
Wenn es bei der Untersuchung der Eigenschaften des Lichtes gleich
bleibt, ob man seine fortschreitende Bewegung als kugelschalige Wellen,
die einander folgen, oder als unermüdliche Strahlen, die von der Quelle
herstechen, sich vorstellen will, so ist doch für das Yerständnisz aller
Instrumente, durch welche wir unsere Sehkraft erhöhen oder vermindern,
die Vorstellung eines Strahles angemessen, weil in unser kleines Auge
stets nur ein sehr kleiner Theil der Lichtwellen aber mehr als ein voll¬
ständiger Strahl dringt.
Der Strahl, der durch die Luft in mein Auge gelangt, kommt in einer
geraden Linie, daher ich nicht um die Ecke sehen kann. Allein der
Strahl, der aus dem Wasser kommt und dann durch die Luft zu meinem
Auge dringt, bleibt nicht in der geraden Linie, das lehrt mich ein schräge
in’s Wasser gehaltener Stock, der wie ein gebrochener aussieht. Lege ich
mir eine Münze in eine Tasse und entferne mich so weit davon, dasz ich
sie eben nicht mehr sehen kann, lasse dann Wasser darauf gieszen, so
sehe ich sie klar und deutlich; ich kann also dann wirklich um die Ecke
sehen, der Strahl, der von der Münze zu mir kommt, ist gebrochen, wie
der Stock im Wasser gebrochen erscheint. Ebenso wie das Wasser,
bricht auch das Glas den schräge durchfallenden Strahl. Diese Brechung
findet statt, wenn der Strahl hineinfährt in das Glas, und im umgekehrten
Sinne, wenn er wieder ausfährt. Darum sehen wir durch Fensterglas die
Dinge richtig wie sie sind, weil der Strahl bei dem Austritte wieder zu¬
recht gebrochen wird.
Es ist leicht einzusehen , dasz man, gestützt auf dieses Naturgesetz,
dem Glase Gestalten geben kann, durch welche die Strahlen zusammen¬
gedrängt oder aus einander geschoben werden. Das ist die Ursache,
weshalb man durch das einer Linse ähnlich gestaltete Brennglas die
Strahlen der Sonne zum Entzünden eines Gegenstandes sammeln und die
Schrift eines Buches dem Auge scheinbar vergröszern kann.
Ein ähnliches Glas wie das Brennglas ist die Lupe oder das einfache
Mikroskop. Je schärfer diese Lupe wird, desto bauchiger wird sie, desto
kleiner musz sie also sein, wenn sie nicht allzu dick werden soll. Je
schärfer sie wird, desto näher musz man ihr auch den Gegenstand, desto
näher auch das Auge bringen.
Das sind Hindernisse, die der Steigerung der Schärfe sehr bald
eine Grenze setzen; deshalb hat man die zusammengesetzten Vergrö¬
ßerungsgläser eingerichtet, mit deren Hülfe man in den Stand gesetzt ist,
auch bei bedeutenden Vergrößerungen das Auge in einer passenden
Entfernung zu halten.
Sind die Seiten eines Glases hohl, statt bauchig zu sein, so nähert es
umgekehrt dem Auge die entfernten Gegenstände, daher es als Brille für
die Kurzsichtigen dient; eine vollkommenere Zusammenstellung ver-