Seelenlehre des Menschen. 11
keinen freien Willen baden. Der Mensch, der eben so
ohne Ueberlegung bandelte wie die Thiere, würde sich
selbst zum Thier machen, und cs würde ihm dann auch
gehen, wie es den Thieren so oft zu gehen pflegt. Er
würde sich selbst unglücklich machen. Der Mensch soll
sich also nie durch seine Begierden leiten lassen, sondern
bei jeder Sache, die er gerne haben, oder nicht haben
will, erst seine Vernunft, oder das Urtheil erfahrner Leute
zu Rathe ziehen. Um diese Herrschaft über sich selbst zu
erhalten, soll er sich alle Tage üben, etwas Nützliches,
das ihm unangenehm ist, zu thun, und eiwas Schädli¬
ches, was ihn, angenehm wäre, zu unterlassen. So
wird er alle Tage vollkommncr, und eben darum auch
glücklicher werden.
Das Begehren und Verabscheuen der Thiere nennt
man Instinkt. Nämlich der liebeGott hat dieSeelen
der Thiere so eingerichtet, dast sie einige Dinge begehren,
oder verabscheuen müssen, ohne zu wissen, warum, um
sie wegen Mangel an Vernunft und freiem Willen eini¬
germaßen schadlos zu halten. Sv bauen siel, die Vögel
Nester, brüten über ihren Eiern, füttern ihre Jungen rc.
2) Aber auch die Menschen haben Instinkt, d. i.
die Seele fühlt sich gezwungen, einige Dinge,
a) und zwar diejenigen, welche eine angenehme sinn¬
liche Empfindung verursachen, zu begehren, und einige,
und zwar diejenigen, welche eine unangenehme Empfin¬
dung verursachen, zu verabscheuen, ohne oft recht zu wis¬
sen, warum? Man nennet diesen Instinkt den Instinkt
der Sinnlichkeit, weil die Seele sowohl die angeneh¬
men als die unangenehmen Empfindungen durch die
Sinne erhält.
b) Der Mensch hat auch den Instinkt der Selbst¬
erhaltung. D. i. Er bat eine angeborne Begierde,
sein Leben zu erhalten, und einen angevoruen Abscheu ge¬
gen alles, was seinem Leben schaden kann. Gott hat ihn
uns gegeben, damit wir unser Leben nicht selbst abkür¬
zen, und alles vermeiden, was uns schädlich seyn könnte,
auch alle Mittel anwenden, dasselbe zu verlängern.
e) Unsere Seele hat auch einen Instinkt der Neu¬
gierde. Dieser Instinkt macht, daß sich unsere Seele
immer gerne etwas Neues vorstellen will. Gott hat ihn
uns gegeben, daß wir immer mehr zu lernen suchen, und
dadurch klüger, und folglich auch glücklicher werden.