13 
Vom guten Lesen. 
auf die Wörter legten, wohin er gehörte; und Jedermann hörte 
ihnen mit Vergnügen zu, wenn sie etwas herlasen, oder eine Auf¬ 
gabe hersagten. Auch merkte man, daß diese Kleinen es wohl 
verstanden, was in einem Leseftücke für Empfindungen ausge¬ 
drückt werden sollten. Sie mußten zwar, wenn sie sprachen oder 
vorlasen, in der Stimme und dem Tone alles Gezierte (Affec- 
tirte), Gekünstelte, Unnatürliche, Uebertriebene vermeiden; wo ein¬ 
fache Erzählungen waren, da dursten sie keine lebhaften Ge¬ 
fühle ausdrücken; aber auch bei Klagen nicht mit einer weiner¬ 
lichen und widerlichen, und wo Freude herrschte, nicht mit einer 
wild lustigen Stimme lesen. Aber doch hörte man einen Unter¬ 
schied in den verschiedenen Lesestücken. Z. B. bei Bitten und 
Liebkosungen lasen sie sanft schmeichelnd: Gute Mutter, du haft 
uns lieb? Liebes Rothkehlchen, fliege mir ja nicht fort! Bei 
fremdem oder eigenem Unglück hörte man das Gefühl der Weh¬ 
muth: Ach, wir haben Vater und Mutter verloren! Armer 
Knabe! was wirst du nun anfangen? Ach! ich beklage dich. 
Bei Vermahnungen und Warnungen vernahm man Ernst: Fritz ! 
schlage nicht, ich sage es sogleich dem Vater. Verschiebt ja die 
Arbeit nicht! — Bei fröhlichen Begebenheiten las man lebhafter: 
Kommt, kommt, Kinder, der Vater ist vom Jahrmärkte zurück! 
— Munter aufs Feld, die Früchte stehen herrlich! — Muth und 
Entschlossenheit drückten sie aus, wenn der Inhalt des Leseftückes 
darauf hinwies: Fort, fort, wir wollen eilen, hier ist ein 
Menschenleben zu retten! Ernst, feierlich, langsam, mit dem Ge¬ 
fühle der Andacht und Frömmigkeit lasen sie aber dann, wenn 
Etwas über das Höchste, über Gott und Religion vorzulesen 
war: Gott, dich beten wir demüthig an! 
x Wer gut lesen will, thut wohl, wenn er die Aufgabe vorher 
durchsieht, und sich mit dem Sinn eines Satzes bekannt macht. 
Denn die Worte: Er hat es mir gesagt — haben eine etwas 
verschiedene Bedeutung, je nachdem man sie betont. Z. E. Er 
hat es mir gesagt, d. h. Er selbst; Er hat es, d. h. er hat es 
mir nicht verschwiegen. Er hat es m i r rc., d. h. keinem andern; 
Er hat es mir gesagt, d. h. ausdrücklich gesagt, oder gesagt,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.