292 
Neunte Abth eil un g. 
so titel- und rangsüchtig ist, wie in der Vorzeit, so heißt 
es doch noch: Ehre dem die Ehre gebühret; und man gibt 
Jedem die Benennung, welche sein Amt und Stand ihm ver 
schafft, und nennt ihn nicht blos bei seinem Namen, z. B. 
nicht Herr Franz, statt: Herr Schullehrer, Cantor, Organist, 
Sekretär Franz. Den Vornehmern läßt man zur rechten 
Hand, oder bei mehreren Personen in der Mitte gehen, wenn 
nicht der Weg dieß unthunlich macht. Man öffnet ihm die 
Thür, wenn er ein- oder ausgehen will, läßt ihn voran gehen, 
geht ihm entgegen, und begleitet ihn nach den Umständen bis 
an die äußerste Thür; leuchtet ihm im Finstern die Treppe 
hinab. Sehen wir, daß Jemand herauf oder herab kommt, 
so wartet man, bis er vorüber ist, zumal wenn das Aus¬ 
weichen schwierig ist. Den Kindern der Vornehmen um der 
Eltern willen schmeicheln, ist unschicklich, und den Kindern 
schädlich; verlangen es diese oder mißhandeln sie barsch be¬ 
fehlend die ihren Eltern dienenden Personen, so wissen sie 
nicht, was sie jetzt noch sind. 
Bei der Höftichkett vermeide man die Complimentirsucht, 
die im Verbeugen, im Entschuldigen, in der Weigerung ein 
Geschenk anzunehmen, in dem Loben und im Danken kein 
Ende findet, und aus vermeinter Artigkeit lästig wird; wie 
z. B. ein Wirth, der seinen hohen Gast, wieder aus dem 
Schlafe pockte, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Auch 
beschwere man nicht seine Obern und die Vornehmen durch 
lange Besuche, und raube ihnen und andern Geschäftsleuten 
nicht durch weitschweifige Erzählungen die kostbare Zeit. 
ee) Bei Personen aus den untern Ständen suche man 
sich in Achtung zu erhalten, lasse sich nicht Dienste erweisen, 
wodurch man in ihre Gewalt kommt, und sich viele Unschick¬ 
lichkeiten muß gefallen lassen. Aber nian suche auch durch 
Güte und Freundlichkeit sich Liebe zu erwerben. Man gestatte 
seinen Kindern zwar keine allzugroße Vertraulichkeit mit den 
Dienstboten, zumal wenn bei den letzter» die Sitten verdächtig 
sind; aber es ehrt doch auch Kinder der Vornehmen, wenn 
sie selbst im reifern Alter ihre ehemaligen Wärter und Pfleger 
nicht stolz vergessen, sondern die ihnen und ihren Eltern er¬ 
wiesenen Dienste dankbar belohnen. 
st) Gegen Wohlthäter spreche man nicht von ihren Ge¬ 
fälligkeiten als von Kleinigkeiten; gebe das Geborgte nicht 
zu spät und auch unbeschädigt, z. B. ein Buch ohne Flecken
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.