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Geschichte. 
schwachen Regenten erreichte die Noth, die das rohe Faustrecht 
hervorbrachte, den höchsten Gipfel. 
Bürger- und Bauernstand. 
Die große Unsicherheit des flachen Landes bei den Einfällen 
roher Barbaren hatte die Erbauung der Städte, wie sie Hein¬ 
rich I. ausführte, als eine sehr weife Einrichtung erkennen lassen. 
Gegen dieMauern undWälle, gegen die in der Mitte der Stadt sich 
erhebende Burg richteten auch die Raubritter nichts aus. Die 
Vertheidiger dieser Burgen — Bürger genannt — wiesen sie mit 
blutigen Köpfen ab, und jetzt erst konnten Handel und Gewerbe 
gedeihen. Jeder Bürger trieb nur ein Gewerbe und erlangte darin 
eine große Geschicklichkeit — die Arbeiten wurden zierlicher, besser. 
— In den Kreuzzügen lernte man von den Griechen und Arabern 
neue Kunstarbeiren und die Handgriffe bei deren Verfertigung ken¬ 
nen; danach wurden alle Gewerbe verbessert, und es entstanden 
Verbrüderungen der verschiedenen Klaffen von Gewerben, die man 
Zünfte, Gilden, Innungen nannte. Keiner wurde als Meister 
aufgenommen, der nicht das Gewerbe ordentlich erlernt und eine 
Probe seiner Tüchtigkeit abgelegt hatte. So wurden Stümper 
und Pfuscher entfernt, tüchtige Arbeiter gebildet; es entstand ein 
Wetteifer, ein Bestreben, es andern zuvor zu thun. Auf den 
Charakter, die Bildung und das Wohlsein halte dies den günstig¬ 
sten Einfluß; Handwerk hatte goldnen Boden. Sobald man durch 
die Kreuzzüge die Erzeugnisse fremder Länder kennen lernte, suchte 
man sie gegen die einheimischen zu vertauschen — der Handel er¬ 
hielt einen großen Aufschwung. Die reichbeladenen Flotten Vene¬ 
digs und Genuas brachten die kostbaren Waaren des Morgenlan¬ 
des zu uns: Safrair, Indigo, Alaun, Zuckerrohr wurden hier 
bekannt; letzteres, in Syrien gefunden, wurde in Sicilien angebaut 
und später nach Madeira und Amerika verpflanzt. König Roger II. 
von Sicilien brachte aus Athen, Korinth und Theben geschickte 
(Leidenarbeiter nach Palermo. Der Handel erstreckte sich bis in 
den Norden Deutschlands; Hamburg,Lübeck, Bremen, Braunschweig, 
Breslau verschickren die Produkte des Nordens nach dem Süden; 
in den Niederlanden wurden Brügge, Brüssel und Antwerpen be¬ 
rühmte Handelsplätze. 
Der Reichthum, der auf diese Weife in die Städte floß, ver¬ 
schaffte ihnen die Mittel, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. 
Oft erkauften sie dieses Recht und andere von geldbedürftigen Für¬ 
sten, und die Kaiser begünstigten solche Bestrebungen, weil die freien 
Reichsstädte eine feste Stütze gegen den mächtigen und unruhigen 
Adel waren. Deswegen übten auch alle Bürger die Waffenkunst,
	        
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