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Augenblick zurück. Ihre letzte Rede ist eine Fürbitte für die
Gefangenen und Geächteten, Wünsche für das künftige Wohl
des Königs und Landes und das ißekenntniss der einzigen
Sünde, der sie sich reuig bewusst ist, dass sie sich eines
Sonntags eine unschuldige Beschäftigung erlaubt hat, und dar¬
auf entschlummert das fromme Weib mit den Worten: „dort
sitzen die Engel Gottes im Himmel und erwarten mich, die
Glocken des Himmels rufen mich, ich sehne mich hin zu den
Seelen.
Adjunkt A. Fabricius in Aarhuus.
30. Panorama von Hessensteiii.
In Ost-Holstein, 3 Meilen von Kiel, liegt der grosse Selemetersee,
der zweite der Grösse nach in Holstein, fast 4 Meilen im Umfang und
oval von Gestalt. Städte umgeben ihn nicht, sondern ringsum
grosse, fast millionenwerthe adeliche Güter. Das Vollkommenste von
vornehmer Naturwelt im Süden des Vaterlandes ist das am nördlichen
Ufer des Sees gelegene Salz au, die grosse Besitzung des Grasen von
Blome. Derselbe Besitzer hat sich in seinem im Süden des Sees gele¬
genen grossen Gute Lammershagen das Jagdschloss Blomenburg erbauen
lassen, ein gothisches Gebäude in wilder Gegend auf einem tannenbe¬
wachsenen Berge gelegen, mit sehenswerthen inneren Einrichtungen und
grossartiger Aussicht von seinem Thurm über diese üppige, von Natur-
kraft strotzende Gegend. Vom jenseitigen Ufer des Sees aber winkt
schon längst, wie der Sentis dem am Norduser des Bodensees Wan¬
dernden ein breiter, halbbewaldeter Bergrücken, der Pilsberg, herüber,
auf dessen Spitze ein schon nahe hinter Kiel sichtbarer Thurm der
Phantasie des Wanderers reiche Versprechungen macht. Diesen 75 Fuss
hohen Thurm auf einer 437 Fuss hohen Bergspitze erbaute der verstor¬
bene Landgraf Friedrich zu Hessen auf Pancker, ihn den Mamen Hes¬
senstein gebend, zu Ehren des ehemaligen Besitzers dieser Güter, des
Fürsten von Hessenstein. Oben auf der Höhe liegt auch ein kleines,
freundliches Wirthshaus. Wie ungeheuer ist das Riesentableau von der
Spitze dieses Thurmes! wie schwindet gegen diesen unermesslichen,
von Hindernissen für’s Auge nirgends gestörten Blick über die reizende
Ebenenwelt die Aussicht vom Brocken in ein trostloses, trauriges Nichts
zusammen. Wie wetteifert dieses belebte Stück Welt. dieses mehr als
50 Meilen im Umfange betragende Erdensegment selbst in Hinsicht seiner
Weite mit der Aussicht vom Culm des Rigi; Ringsum sieht man den
Horizont bis auf die kleine Strecke, wo eine Holzung im Süden steht;
ganz Ost-Holstein liegt vor uns mit den Städten Kiel, Plön, Eutin, Se-
geberg, Lütjenburg, Oldenburg, ferner die Küste Schleswigs, die Inseln
Alsen, Aerrö, Langeland, Lolland, Fehmarn, bei klarem Wetter selbst
Seeland. Es ist ein Hauptvorzug dieser Aussicht vor der von ähnlichen
Punkten, dass Alles, was das Auge in der Tiefe erfasst, so heiter und
freundlich und abwechslungsreich und harmonisch ist, dass dabei
Alles seine feinen ausgebildeten Schönheiten so klar und deut¬
lich zu Tage legt; keine öde Fläche, kein Haidevordergrund, kein
wüstes Geröll stört das Genussuchende Auge. Vorzüglich schön ist der
Blick auf den grossen Selentersee, dessen ganzes Becken hier vollstän¬
dig zu den Füssen des Beschauers liegt, ferner auf die mit grünen