Full text: Deutsches Lesebuch für Mittelschulen

154. Das Nachtleben in der Natur. 
335 
chen auf und wenden ihre obern Flächen 
gegen einander; andere Kleearten schla¬ 
gen ihre Spitzen gegen einander, wieder 
andere kehren diese abwärts um. 
Merkwürdig ist, daß auch das Alter 
der Blätter einen Einfluß auf leisern 
oder tiefern, kürzern oder längern Schlaf 
ausübt. Je jünger die Blätter, desto 
mehr sind sie dem Schlafe und der Ver¬ 
änderung unterworfen, je älter, desto 
weniger. Weiter ist der. Schlaf auch 
bedingt durch die Natur der Pflanze, 
durch ihre zartere oder festere Substanz. 
Die meisten immergrünen und leder¬ 
artigen Blätter zeigen selbst in ihrer 
Jugend kaum eine Spur von Schlaf. 
Doch auch im Schlafe hört das Le¬ 
ben der Pflanze nicht auf. Die Feuch¬ 
tigkeit, welche die Wurzel einsangt, steigt 
auch in der Nacht hinauf zu den Blät¬ 
tern und diese geben eben so gewisse 
Stoffe an die Luft ab, wie sie aus die¬ 
ser wieder andere in sich aufnehmen. 
Allein es ist ein großer Unterschied in 
diesem Stoffaustausch zwischen Tag und 
Nacht. Die Luft, welche die Pflanze 
bei Tage aushaucht, ist besonders reich 
an Sauerstoff, indeß Nachts vorzugs¬ 
weise Kohlensäure entweicht. Der Ver¬ 
lust von Kohlenstoff bei der nächtlichen 
Ausscheidung hat bei mehreren Pflan¬ 
zen zur Folge, daß der Sauerstoff vor¬ 
waltet und sich sogar dem Geschmacke 
bemerkbar macht. So will man bemerkt 
haben, daß die Blätter mancher Fett- 
pflanzen früh Morgens einen entschieden 
sauren Geschmack besitzen, den ihnen der 
Sonnenschein allmählich wieder benimmt, 
indem er die Pflanze ihres Sauerstoffes 
wieder mehr entbindet. 
II. 
Wie das Thier in seinem Leben 
überhaupt freier, selbstständiger ist, als 
die an die Scholle gebundene Pflanze, 
so behauptet es auch gegenüber dem 
Einflüsse der Sonne eine größere Un¬ 
abhängigkeit. Dennoch ist auch es den 
Gesetzen der Natur unterworfen. Ein 
solches zwingendes Gesetz ist das des 
Schlafes, und zwar ist die allgemeine 
Regel, daß, wie die Zeit des Wachens 
dem Tage, so die Zeit des Schlafes der 
Nacht zufällt. Aber gleichwie wir bei 
den Pflanzen Nachtblüthen gesunden ha¬ 
ben, so begegnen wir in der Thierwelt 
einer ansehnlichen Gruppe, die der Ruhe 
und dem Schlafe entweichen, welche die 
Nacht über das laute Leben und Trei¬ 
ben des Tages hingebettet. Zum Theile 
sind es Diebs- und Raubgelüste, welche 
diese Nachtwandler ihren einsamen dunk¬ 
len Weg schleichen lassen nach dem frem¬ 
den Neste, wo ihr Opfer arglos dem 
allgemeinen Frieden vertraut. Bei an¬ 
deren ist es Furchtsamkeit vor mächti¬ 
geren Verfolgern, die sie am Tage in 
sicherem Verstecke fest hält und erst 
Nachts, geschützt vom Schleier der Dun¬ 
kelheit, in's Freie wandeln läßt. Wäh¬ 
rend der Umwandlung des Tages in 
die Nacht sind die heitern Sänger nach 
und nach verstummt, und selbst die 
muntersten der Vögel bergen sich in 
ihren Nestern. Die Heerden sind heim¬ 
gekehrt in die sichern Ställe oder gela¬ 
gert in schützenden Hürden. Die mei¬ 
sten Thiere haben ihr Lager ausgesucht. 
Dagegen beginnt sich's zu regen und zu 
bewegen im heimlichen Gebüsch, im Röh¬ 
richt, auf dem Saatfeld und zwischen 
den Schollen, über die unser Fuß wan¬ 
delt. Da, dort kriecht's ans der Ver¬ 
borgenheit der Erde hervor, huscht's 
vorüber, fliegt's durch die Nachtlust 
stumm, oder mit einem kurzen Schrei, 
mit einem eintönigen Rufe. Es ist das 
Gethier der Nacht, dessen Stunde nun 
gekommen und das sich aufmacht, sich 
seines Daseins zu freuen. Eine Anzahl 
von Thieren schwärmt nur in der Däm¬ 
merung umher, als Vorläufer der eigent¬ 
lichen Nachtthiere. Am bekanntesten ist 
von diesen Thieren die Fledermaus, die, 
wie sie weder dem Tage, noch der Nacht 
angehört, so auch zwitterhaft zwischen 
den Vierfüßlern und Vögeln, zwischen 
Himmel und Erde steht. Gespenstigen 
Fluges flattert dieses merkwürdige Thier 
im Zwielichte seiner Beute nach, den 
Mücken und Schmetterlingen und Kä¬ 
fern, die gleich ihm, auf die Dämmerung 
angewiesen sind. Ohne sich bei der 
kurzen Dauer ihrer Regsamkeit immer 
die Zeit zum Verzehren der Beute zu 
gönnen, sammelt die Fledermaus diese 
oft nur ein und hält ihre Mahl¬ 
zeit erst in ihrem sichern Schlupfwinkel,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.