Kurze Uebersicht d. Geschichte d. europ. Völker. 123
Sünden von ganzen Herzen zu bereuen, nicht besser
zu werden im Stande sey. Da zeigten sie die Ab¬
laßbriefe, in dem Wahne, mit dem Gelde, das sie
gegeben hatten, nun Alles gut gemacht zu haben.
Hierzu konnte der fromme Luther nicht schwei¬
gen. Er belehrte in seinen Predigten das Volk
über die Verblendung, worin es lebte; er schlug,
um in einem weitern Kreise zu wirken, 95 Satze*)
an die Schloßkirche in Wittenberg (den 31. Oct.)
in denen er ausführlicher bewies, daß der Ablaß
schriftwidrig und für das Volk höchst verderblich
sey. Er redete in allen diesem die Wahrheit, und
deßhalb sielen ihm viele zu, in allen Provinzen un¬
seres Vaterlandes, in welche seine Schrift um so
schneller verbreitet wurde, da die 1440 von J o h.
Guttenberg und Peter Sch äffe r in Mainz
erfundene Buchdruckerkunft schon in ganz
Deutschland, ja tn ganz Europa bekannt war, und
da sich unter den gelehrten Männern genug fanden,
welche die Mißbräuche des Pabstthums einsahen und
nur, was sie dachten, nicht auszusprechen wagten.
In gleichem Grade aber zog sich Luther den
Haß derer zu, welche bey dem Ablaßhandel ihren
Vortheil gefunden hatten. Luther wurde in Rom
angeklagt und vor den Pabft beschieden; nur auf
Fürbitte seines Herrn, des Churfürsten v. Sachsen,
wurde es ihm als eine besondere Gnade zugestan¬
den, in Deutschland verhört werden zu können.
Cajetan sollte dieß Geschäft übernehmen und lud
Luther ein, nach Augsburg zu kommen. Trotz
des freundlichen, väterlichen Tones, worin der päbst-
liche Gesandte sprach, ließ sich doch Luther nicht
täuschen. Er weigerte sich zu widerrufen, falls
*) Dieß war der Sitte des Zeitalters gemäß. Man pflegte
vor Festtagen, wie Luther hier an dem Vorabend ,deS
Festes Aller Heiligen, das die Katholiken den T*T feyern,
solche streitige Sätze anzuschlagen, um darüber an den
folgendem Festtage mit gelehrten Männern zu reden.