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männlichen Zeugungskraft war, und die Verehrung der nährenden
und säugenden Kuh und des Bocks, welcher ein Bild der Frucht¬
barkeit war. Erblickten nun aber die Aegypter das Göttliche haupt¬
sächlich in der lebenden Natur, so ist damit nicht gesagt, daß sie
cs nickt auch in der übrigen Natur zu erkennen vermeinten. Neben
dem Prozeß des animalischen Lebens knüpften die Aegypter ihren
religiösen Kultus auch an andere Vorgänge der Natur. In Aegypten
schlossen sich aber fast alle Vorgänge in der Natur an das an, was mit
dem Nil geschah. Daher bezieht sich manches in der ägyptischen Re¬
ligion auf den Nil und dessen wohlthätige Wirkungen. Ohne Zweifel
wurde der Nil selbst unter einem gewissen Sinnbilde als Gottheit
verehrt. Wahrscheinlich wurde auch der Nil unter dem Bilde des
Stieres vorgestellt, da von ihm die Fruchtbarkeit in der Natur und
immer wieder neues Leben ausging. Das von dem Nil über¬
schwemmte und fruchttragende Land wurde alsdann durch das Bild
der Kuh dargestellt. Ferner wurden die Ereignisse auf der Erde in
Beziehung gesetzt zu den Erscheinungen am Himmel. Und wie in
allen Naturreligionen treffen wir auch in der aegyptischen Gestirn¬
dienst. Dieser aber ist nur ein Element neben andern Elementen.
Ferner findet sich in der ägvptischen Religion auch die Vorstellung,
daß die Götter einst auf der Erde gelebt, daß sie vor den mensch¬
lichen Königen geherrscht haben, und daß von ihnen die Erkenntniß
der Götter selbst und alle Weisheit stamme. Hieran schließen sich
endlich auch Personifikationen von sittlichen Ideen, welche auch in den
Naturreligioncn niemals fehlen können, da der menschliche Geist
auf keiner Stufe seiner Entwickelung eine wesentliche Seite seiner
selbst abstreifen kann.
Der Gottesdienst bestand aus Prozessionen, religiösen Festen
und zum Theil aus abscheulichen Gebräuchen. Die heiligen Ge¬
bräuche und Volksfeste der Aegypter behielten nach dem was Hero-
dot uns davon sagt, trotz der Bildung der Priesterkaste und trotz
des Einflusses, den die lange Gewöhnung an Ackerbau und die
Künste des Friedens auf sie haben mußte, doch beständig Züge des
frühsten rohen Zustandes. Ihre Feste und heiligen Gebräuche waren
beinahe ohne Ausnahme enthusiastischer Art, wie sie bei rohen Völ¬
kern zu sein pflegen, die sich entweder einer wilden Freude, oder
ausschweifenden Büßungen überlassen. Wenige Feste der Aegypter
waren ohne Kasteiungen, sowie auch ihre Opfer größtentheils Sühn¬
opfer waren. Andere Feste dagegen waren mit ausschweifenden
Freudebezeigungen verbunden und ihre Prozessionen trugen das Ge¬
präge eines rohen Zeitalters, in welchem sich das moralische Gefühl
und der Sinn für Wohlstand und Sittsamkeit noch wenig ent¬
wickelt hat.
Die Aegypter glaubten wie die Inder an eine Seelenwande¬
rung. Sie glaubten, daß die Seele nach dem Tode des Leibes
durch alle Thiere des Landes und des Meeres und durch alle Vö¬
gel wandere, nach drei tausend Jahren aber wieder in den früheren
Menschenleib zurückkehre. Sic glaubten auch an ein Todtengericht,
Amenthes oder Amenthi genannt. In diesem herrscht Osiris und
richtet die Todten. Die Art der Seelenwanderung scheint vom Aus-