Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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hingiebt und für seine Mörder betet. Seine Helden sind frei von jeder 
Leidenschaft und jedem menschlichen Schmerze. Damit man nun, weil 
ihnen der Sieg so leicht wird, ihre Größe nicht übersieht, muß der 
Dichter die Bosheit ihrer Verderber und die ausgesuchten Qualen mit 
den grellsten Farben schildern. Die Stücke von Gryphius sind arm an 
Handlung, aber reich an sententiösen Stellen, an Exclamationen und 
bombastischen Redensarten. 
Die Pedanterie, welche damals in der deutschen Dichtkunst herrschte, 
zeigt sich auch in der Stiftung von Gesellschaften, welche an verschie- 
denen Orten zu Stande kamen. Sie setzten sich zum Zweck die Erhal¬ 
tung und Ausbildung der deutschen Sprache, besonders die Pflege ihrer 
Reinheit und mittelbar auch die Pflege der Dichtkunst. Die erste die¬ 
ser Gesellschaften war die zu Weimar gestiftete fruchtbringende Ge¬ 
sellschaft oder der Palmenorden, eine Nachahmung der italieni¬ 
schen Akademien. Es wurde eine aufrichtige Tannengesellschaft 
in Straßburg, eine deutsch gesinnte Genossenschaft durch Philipp 
Zesen in Niedersachsen, ein Schwanenorden in Holstein durch den 
Pfarrer Rist und in Nürnberg der gekrönte Blumenorden oder die 
Gesellschaft der Schäfer an der Pegnitz von Harsdörfer und 
Klai gestiftet. Die Form der Schäferdichtung findet sich im 16. Jahr- 
hundert in allen Literaturen. Das Liebesgedicht wagte nicht ohne die 
Hülle der Allegorie aufzutreten. Aus Ueberdruß an der verwickelten 
Wirklichkeit suchte man sich in ein goldenes Zeitalter zu flüchten. Die 
Pegnitzschäfer unternahmen es, nicht nur poetisch zu schreiben, sondern 
auch poetisch zu fühlen und zu leben. Sie ergaben sich dem Strome 
der Empfindung und der Phantasie. Sie brachten aber nur geistlose 
Spielereien in einer Gattung hervor, welche in anderen Literaturen nicht 
wenigen Talenten gestattete, sich dauernden Ruhm zu erwerben. 
Ehristian Hoffmann von Hofsmannswaldau und Daniel 
Caspar von Lohen st ein waren die Häupter der sogenannten zweiten 
schlesischen Dichtersch ule. Während Opitz die Poesie als eine Lehrerin 
männlicher Lebensweisheit betrachtete, führte Hoffmannßwaldau die fri¬ 
volste Liebespoesie ein. Der Ehrbarkeit des Inhalts entsprach bei Opitz 
ein farbloser Ausdruck, diese späteren Schlesier aber erfreuten sich an 
der üppigsten Bilderpracht, und die Sinnlichkeit der Sprache stimmte 
mit der Sinnlichkeit des Inhalts zusammen. Die ganze Lyrik war ero¬ 
tisch und jeder edeie Gedanke, jede zartere Regung des Seelenlebens 
aus derselben verschwunden. Der Dichter wird nicht müde die sinnlichen 
Reize der Frauen, bald in aller Nacktheit, bald in Anspielungen und 
nie ohne cynische Frechheit zu schildern. Die italienischen Dichter Gua- 
rini und Marino, deren süßliche, schwülstige und unreine Poesie war 
daß Vorbild des entnervten Dichtergeschlechts der damaligen Zeit. 
Der einzige Ton edler volksmäßiger Poesie, der in diesen Zeiten 
der Künstelei und Gelehrsamkeit, in dieser Zeit der gemachten Empsin- 
düngen und erlogenen Gefühle sich vernehmen läßt, ist das evangelische 
Kirchenlied, und als der bedeutendste und fruchtbarste Liederdichter ist 
Paul Gerhard zu nennen.
	        
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