Full text: Deutsches Lese- und Sprachbuch für die Oberstufen der Volks- und Bürgerschulen (Abt. 3)

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7. Claudius über Christus und sein Wort. 
Du möchtest gern mehr von unserm Herrn Christus wissen- 
Andres! Wer möchte das nicht? 
Aber bei mir kommst Du unrecht. Ich bin kein Freund von 
neuen Meinungen und halte fest am Wort, sogar haste ich das Kopf¬ 
brechen an Religions-Geheimnissen; denn ich denke, sie sind eben 
darum Geheimnisse, daß wir sie nicht wissen sollen, bis es Zeit ist. 
Wenn wir ihn nicht selbst sehen können, Andres, so müssen wir 
Denen glauben, die ihn gesehen haben. Mir bleibt anders nichts übrig. 
Was in der Bibel von ihm steht, alle die herrlichen Sagen unk 
herrlichen Geschichten sind freilich nicht er, sondern nur Zeugnisse von 
ihm; aber doch das Beste, was wir auf Erden haben, und so Etwas, 
das einen wahrhaftig freuet und tröstet, wenn man da hört und sieht, 
daß der Mensch noch was Anders und Bcssers werden kann, als er 
ssck selbst gelassen ist. 
Und was in der Bibel von ihm steht, das hab' ich gelesen mehr 
als Einmal, und nehme es, so wie es dasteht, ohne zu noch ab zu 
thun. Willst Du also davon mit mir schreiben und sprechen, so gut 
ich's kann, von Herzen gern! Ich weiß für mich nichts Liebers und 
Erfreulichers, als von Hülfe und Errettung, und wem's anders ist, 
der muß nie in Noth gewesen sein, noch Andere darin gesehen haben. — 
Und nun ein Erretter aus aller Noth, von allem Uebel! Ein 
Erlöser vom Bösen! und nun ein Helfer, wie die Bibel den Herrn 
Christus darstellt, der umher ging und wohl that, und selbst nicht hatte, 
wo er sein Haupt hinlege; durch den die Lahmen gehen, die Aussätzigen 
rein werden, die Tauben hören, die todten ausstehen und den Armen 
das Evangelium gepredigt wird; dem Wind und Meer gehorsam sind, 
und der die Kindlein zu sich kommen ließ und sie herzete und segnete; 
der bei Gott und Gott war und wohl hätte mögen Freude haben, der 
aber an die Elenden im Gefängniß gedachte, und verkleidet in die Uni¬ 
form des Elendes zu ihnen kam, um sie mit seinem Blute frei zu 
machen; der keine Mühe und keine Schmach achtete, und geduldig war 
bis zum Tode am Kreuz, daß er sein Werk vollende; — der in die 
Welt kam, die Welt selig zu machen, und der darin geschlagen und 
gemartert ward und mit einer Dornenkrone wieder hinausging! — 
Andres, hast Du je was Aehnliches gehört, und fallen Dir nicht 
die Hände am Leibe nieder? Es ist freilich ein Geheimniß, und wir 
begreifen es nicht; aber die Sache kömmt von Gott und aus dem Him¬ 
mel, denn sie trägt das Siegel des Himmels und trieft von Barmher¬ 
zigkeit Gottes. 
Man könnte sich für die bloße Idee wohl brandmarken und 
rädern lassen, und wem es einfallen kann, zu spotten und zu lachen, 
der muß verrückt sein. Wer das Herz aus der rechten Stelle hat^ 
der liegt im Staube und jubelt und betet an. 
Wangemann, Hülfsbuch. III. Abth. 
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