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VI. Bilder aus der Erdkunde,
reicher. Ihre linke Flanke ward von General Herwarth, ihre
rechte vom Kronprinzen gesprengt. Das preußische Geschütz
erschien nun auf den Höhen und räumte furchtbar unter den
Fliehenden auf.
Jetzt stellte sich König Wilhelm selbst an die Spitze seiner
Reiterei, um den Sieg zu vollenden. Als der greise Held dahin¬
flog, umbrauste ihn tausendstimmiger Jubel: „Heil dir im Sieger¬
kranz!“ erscholl es, wohin er kam. Und noch an demselben Abend
begegnete er auf dem Schlachtfelde seinem sieggekrönten Sohne,
dem Kronprinzen, den er nach Wochen so zum ersten Male
wiedersah. Vater und Sohn stürzten sich in die Arme, und heiße
Tränen der Freude strömten über ihre Wangen. Naoh Keck.
278. Das Licht der treuen Schwester.
An dem Ufer einer Hallig wohnte einsam in einer Hütte eine Jung¬
frau. Vater und Mutter waren gestorben, und der Bruder war fern
auf der See. Mit Sehnsucht im Herzen gedachte sie der Toten und des
Abwesenden und harrte seiner Wiederkehr. Als der Bruder Abschied
nahm, hatte sie ihm versprochen, allnächtlich ihre Lampe ans Fenster zu
stellen, damit das Licht, weithin über die See schimmernd, wenn er heim¬
kehre, ihm sage, daß seine Schwester Elke noch lebe und seiner warte.
Was sie versprochen hatte, das hielt sie. An jedem Abend stellte sie die
Lampe ans Fenster und schaute Tag und Nacht auf die See hinaus, ob
nicht der Bruder käme. Es vergingen Monde, es vergingen Jahre, und
noch immer kam der Bruder nicht. Elke ward zur Greisin. Immer saß
sie noch am Fenster und schaute hinaus, und an jedem Abend stellte sie
die Lampe aus und wartete. Endlich war es bei ihr dunkel und das
gewohnte Licht erloschen. Da riefen die Nachbarn einander zu: „Der
Bruder ist gekommen!" und eilten ins Haus der Schwester. Da saß sie
da, tot und starr ans Fenster gelehnt, als rvenn sie noch hinausblickte,
und neben ihr stand die erloschene Lampe. MM-nh-ff.
279. Mit Gott!
Am letzten Tage des Monats Juli 1870 verließ König Wilhelm I
Berlin, um sich an die Spitze der deutschen Heere zu stellen, die sich
schon an der französischen Grenze gesammelt hatten.
Vormittags hatte er noch den Gottesdienst im Dome besucht. Als
in der Stadt bekannt wurde, daß der König abreisen wollte, da sammelte
sich das Volk um seinen Palast. Gegen Abend bestieg der hohe Herr
mit seiner Gemahlin einen offenen Wagen und fuhr zum Bahnhöfe. Was
war das für ein Anblick! Von dem Palaste an standen die Zuschauer