Full text: Deutsches Lesebuch für einfache Schulverhältnisse

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224. Der Morgen im Walde. 
Ein sanfter Morgenwind durchzieht 
des Forstes grüne Hallen, 
hell wirbelt der Vögel munteres Lied, 
die jungen Birken wallen. 
Das Eichhorn schwingt sich von Baum zu Baum, 
das Reh durchschlüpft die Büsche, 
viel hundert Käfer im schattigen Raum 
erfreu'n sich der Morgenfrische. 
Und wie ich so schreit' in dem lustigen Wald, 
und alle Bäum' erklingen, 
um mich her alles singet uub schallt; 
wie sollt' ich allein nicht singen? 
Ich singe nlit starkem freudigem Laut 
dem, der die Wälder säet, 
der droben die luftige Kugel gebaut, 
uud Wärm' und Kühlung wehet. Egon Ebert. 
225. Das Leben des Herbstwaldes. 
Gegrüßt sei uns der deutsche Wald im frischen Hauche der Herbste 
luft! Er duftet nach Laub, sein Geruch ähuelt dem des würzigen Heues, 
das der Schnitter dem Dorfe zuführt. Wie hat sein Ansehen sich binnen 
wenig Wochen geändert! Statt des hellen Maigrün des Frühlings, statt 
der eintönigen dunkleren Färbung des Sommers hat er ein buntes 
wand angelegt. Hier vor uns am Waldsaume, au welchem der scharfe 
kalte Rordost bei nächtlicher Weile Bäume und Gebüsche mit Reifsteruchen 
versilberte, haben die Birken ihr Laub in helles Gelb umgewandelt. 
Die schöngezackten Blätter des Ahorn schrumpften verdrießlich zusammen, 
der alte Baum gleicht eitlem Krauskops, dem eine unangenehme Geschick^' 
durch den Kopf( geht. Das Bucheulaub ward heller, der Hornstrauch 
färbte seine Zweige blutroth, seine Blätter schimmern purpurbraun; auch 
der Liguster, die Brombeeren und stellenweise selbst der Weißdorn theilen 
dieselbe Färbung. Manche Eichen erscheinen bereits in fahlem Braun, 
andere, die etwas geschützt vorm Winde standen, haben noch das volle, 
kräftige Grün. Der Herbstwald gleicht einer Harlekinjacke, einem bunten 
Kleide aus tausend Flecken uud Flicken zusammengesetzt. In Nordamerika 
soll die Lebhaftigkeit der Färbung, das Feuer des Gelb und Roth des 
Blattwerkes noch viel greller sein als bei uns. Es ist jedoch stellenweise 
auch im deutschen Walde bunt und scheckig vollauf. 
Jedes Blatt im Walde hatte vom èomienlichte während des SoM/ 
mcrs sich satt getrunken, jedes hatte Lebenslust reichlich gespeist und mtt 
ihr seine übrigen Stoffe gemischt. „Das große Festmahl 'geht zur Neige, 
die Gäste sind trunken und übersättigt. Die große Illumination wird 
geschlossen, uud wie bei einem Fackelzuge zum Schluß alle Fackeln J.1* 
einem gemeinsamen Lichtberg auf einen Hausen geworfen emporlodern, ft
	        
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