Full text: Deutsches Lesebuch für ein- und zweiklassige Schulen

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Dorfe; aber der Weg war zerfahren und lehmig, und der Regen 
rauschte noch immer. Als sie an der Hütte vorbeikamen, in 
der Hanna bis zum Tode ihres Mütterleins gewohnt — der Vater 
war schon viel früher gestorben — da kam das Weinen über das 
Kind. 
So ganz, so ganz allein zu sein! Und ihr Herzchen war doch 
so voll von Liebe, voll bis an den Rand. Keine Mutter, keine 
Gespielen mehr! Wie wird das werden? Wie wird das bloß 
werden? 
,,Hü!" sagte in diesem Augenblicke der Junge. Es klang 
so zornig, daß Hanna zusammenfuhr. „Hü!" Der Weg war an 
dieser Stelle schrecklich. Der Braune keuchte. 
„Laß mich absteigen! Ich bitte dich, laß mich absteigen!" 
Der Junge achtete nicht darauf. Er nahm die Peitsche, und 
zwei scharfe Hiebe sausten auf den Rücken des armen Tieres. 
Da setzte es seine letzte Kraft ein, und zitternd und stolpernd 
legte es den Rest des Weges zurück. Hanna war sehr blaß ge¬ 
worden. Ihr Herz tat ihr weh. So kam sie auf dem Steinhof an. 
3. In dem Augenblick, .als der Wagen über die Pflaster¬ 
steine holperte, guckte die Sonne ein wenig hinter der grauen 
Wolke hervor. Der Bauer und die Bäuerin kamen gerade aus 
dem Hause, wohl nicht, um das Kind zu begrüßen — sie mochten 
etwas auf dem Hofe zu tun haben; aber nun blieben sie doch 
stehen und warteten. 
Hanna sprang vom Wagen. Wie hatte doch Meiste^ Bork¬ 
mann gesagt? Richtig — die Hand sollte sie ihnen küssen! Und 
dann: „Ich will immer ein gehorsames Kind sein und arbeiten, 
so viel ich kann." 
Sie wußte es ganz gut und wollte es ja auch wirklich sagen. 
Aber da stand das Pferd und zitterte so und hatte zwei Striemen 
über dem Rücken. Da reckte sie sich und legte ihm beide 
Arme um den Hals. Und die Sonne lächelte, daß so etwas auf 
dem kinderlosen, kalten Steinhof passieren konnte, und es war 
ein Bild, daß man einen rauhen Ton nicht recht aus der Kehle 
herausbekam, selbst wenn man ihn Tag für Tag gewohnt war. 
„Na, komm doch einmal her," sagte die Bäuerin und wußte 
selbst nicht, daß sie leise sprach, fast freundlich. Und als das 
Kind vor ihr stand: „Du wirst nun bei uns wohnen, und wir 
werden dir zu essen geben. Aber das sage ich dir: die Hände 
in den Schoß legen, das kennen wir nicht." 
Und Hanna fragte, anstatt ihren Spruch zu sagen, aus der 
tiefsten Tiefe ihres Kinderherzens herauf: „Habt ihr auch Tauben?"
	        
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