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Karl übrig geblieben, auf dem er seine Aufgaben machen
könnte. Als ich noch meinen Ladentisch unten im Torweg
hatte, konnte er wenigstens darauf schreiben. Nicht ein¬
mal ein Licht habe ich, daß er lernen könnte, ohne sich die
Augen zu verderben. Gottlob, daß ich ihn zur Schule
schicken kann, und daß ihm die Gemeinde Bücher und Hefte
gibt. Und er lernt so gerne! Ich arme Frau!“
Meine Mutter gab ihr alles Geld, das sie in der Börse
hatte, küßte den Knaben und weinte fast, als wir fort¬
gingen.
Edmondo de Amicis.
19. Der beste Empfehlungsbrief.
Ein Kaufmann machte in der Zeitung bekannt, daß er
einen Kontorknaben brauche. Fünfzig Knaben meldeten sich.
Der Kaufmann wühlte sehr rasch einen von ihnen und ver¬
abschiedete die andern. „Ich möchte wohl wissen," sagte ein
Freund, „warum du gerade diesen Knaben, der doch keinen
einzigen Empfehlungsbrief hatte, bevorzugtest?"
„Du irrst," lautete die Antwort; „dieser Knabe hat viele
Empfehlungen. Er putzte seine Füße ab, ehe er ins Zimmer
trat, und machte die Tür zu; er ist daher sorgfältig. Er gab ohne
Besinnen seinen Stuhl jenem alten, lahmen Manne; dies zeigt
seine Herzensgüte und Aufmerksamkeit. Er nahm seine Mütze
ab, als er hereinkam, und antwortete ans meine Frage schnell
und sicher; er ist also höflich und gewandten Geistes. Er hob
das Buch auf, das ich absichtlich auf den Boden gelegt hatte,
während alle übrigen es zur Seite stießen oder darüber stolperten.
Er wartete ruhig und drängte sich nicht heran — ein gutes
Zeugnis für sein anständiges Benehmen. Ich bemerkte ferner,
daß er seinen Rock gut ausgebürstet hatte, und daß seine Hände
und sein Gesicht rein waren. Nennst du dies alles keinen
Empfehlungsbrief? Ich gebe mehr darauf, was ich von einem
Menschen weiß, nachdem ich ihn zehn Minuten lang gesehen
habe, als auf das, was in schön klingenden Empfehlungsbriefen
geschrieben steht."
Magdeburgische Zeitung.