Full text: Lesebuch für die reifere weibliche Jugend

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allein zu. In vornehmen Familien mutzten sie die Gewänder 
wenigstens zuschneiden, wenn sie auch die Anfertigung ihren 
Dienerinnen überlietzen. Selbst Fürstinnen setzten eine Ehre 
darein, recht fein zu weben und die Mägde zu schöner Arbeit an¬ 
zuleiten. Ebenso hatte die Tochter die Mutter im Hauswesen 
zu vertreten. Wenn diese bei Bewirtung fremder Gäste an der 
Tafel erscheinen mutzte, blieb jene im Nebenzimmer bei den 
kleinern Kindern. 
So verging den Mädchen die Zeit der Jugend in der grötzten 
Einfachheit und Zurückgezogenheit. Nur bei Tur¬ 
nieren und andern besondern festlichen Gelegenheiten pflegten sie 
öffentlich zu erscheinen. Sonst sah man sie nur bisweilen am 
Fenster oder während der Messe in der Kirche, wo die Frauen ihre 
besondern Plätze hatten. Auch eilten sie wohl im Frühling und 
Sommer hinaus ins Freie, um im Waldesgrün an fröhlichem 
Reigentanz sich zu belustigen, und auch Jünglinge nahmen oft an 
diesen Tänzen teil. 
Ging eine Frau aus, so mutzte sie vor sich hinsehen, ohne die 
Augen umherschweifen zu lassen; auch galt es für unschicklich, wenn 
sie sich öfter umschaute oder ohne Mantel ausging. Dabei hielt 
man es für ihre Pflicht, gegen jedermann, er sei arm oder reich, 
gleich artig und freundlich zu sein. und man würde es auch vor¬ 
nehmen Frauen nicht verziehen haben, hätten sie einen G r u tz 
nicht auf die herzlichste Weise erwidern wollen. In Frankreich 
war es sogar Sitte, datz sie beim Grütze ihre Hauben abnahmen. 
Wenn ein Mann grützend zu einer Frau ins Zimmer trat, so er¬ 
hob sie sich. den Grutz erwidernd, vom Sessel, und wäre sie die 
mächtigste Königin gewesen. Besondre Aufmerksamkeit hatten die 
Frauen auf ihr Benehmen bei Tische zu verwenden. Ge¬ 
schwätzigkeit und vorlautes Wesen, zu rasches oder zu lautes 
Sprechen, Rufen, Lachen oder gar Fluchen galt überhaupt als un¬ 
schicklich und mit der weiblichen Anmut und Zartheit unverträg¬ 
lich. So durften sie denn auch bei Tische nicht viel reden, und 
ebensowenig hätte man es ihnen verziehen, wenn sie im Essen und 
Trinken nicht mätzig gewesen wären. 
Bei feierlichen Gelegenheiten wurde der grötzte Schmuck an¬ 
gelegt. und die köstlichsten Gewänder wurden aus Laden und 
Schrein hervorgeholt. Im Hause dagegen war die Kleidung, 
auch der vornehmen Frauen, sehr einfach. Sie trugen einen Rock. 
der von oben bis auf die Fütze niederflotz, so datz diese davon be¬ 
deckt wurden. Der Rock wurde mit einer Spange auf der Brust 
befestigt und über den Hüften durch einen Gürtel zusammen¬ 
gehalten. Darüber wurde ein weiter Mantel getragen. Der Kopf 
war meistenteils unbedeckt, und das Haar wallte in Locken herab. 
Oft aber hüllten sich die Frauen in einen Schleier. Manche trugen 
einen seidenen Kopfputz, Bänder und Borten, die Haare und 
Flechten zusammenhielten; auch eigentümliche, aus starkem Zeuge 
gearbeitete Hauben kamen vor; Jungfrauen aber schmückten ihre
	        
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