Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

I. Der Bauernstand sonst unb jetzt. 
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Der Bauer vom ecfjten Schrot und Korn beneidet beu vornehmen 
Mann keineswegs. Die Geschichte weiß von Bauernaufruhr aller Art 
zu berichten, wodurch der geplagte Landmann sein Geschick zu bessern 
dachte; aber ein Streben der Bauern, aus ihrem Stand und Berus 
herauszutreten, vornehme Leute werden zu wollen, den Pflug liegen 
zu lassen, ein solches Streben ist bei den deutschen Bauern ganz un¬ 
erhört. In den niederen Schichten der städtischen Gesellschaft beneidet 
der Geringere den Höheren unb möchte wohl in seine Stelle einrücken. 
Der Fabrikarbeiter, der Handwerker wünscht nicht bloß seinen Arbeits¬ 
verdienst erhöht, — das wünscht der Bauer auch, — er will aufhören, 
Fabrikarbeiter, Handwerker zu sein; er möchte auch ein großer Herr- 
werden. Der Bauer kennt diesen erbärmlichen Neid nicht; er ist noch 
von dem edlen Stolze des Standesgeistes beseelt, den früher auch der 
Handwerker besaß, und der ihn so ehrenwert und tüchtig erscheinen 
ließ. Wird der Landmann von Leuten anderer Stände über die Achsel 
angesehen, so ist er sofort mit dem schlagender: Satze zur Hand: „Wenn 
wir Bauern nicht wären, dann hättet ihr nichts zu essen." Und bei 
diesem Worte soll der Bauer stehen bleiben; es ist ein stolzes Wort, 
daraus er sich schon etwas einbilden kann. Nach W. H. Riehl. 
4. Der Ackerbau, eine Schule der Religiosität. 
In dem Ackerbau erkennen wir die Grundlage aller bürgerlichen Ge¬ 
selligkeit und Ordnung; in ihm die sicherste, wenn auch nicht immer die 
reichste Quelle des Wohlstandes im Staat und in den Familien; in 
ihm endlich eine vorzügliche Schule einer frommen, gottergebenen Ge¬ 
sinnung, die wir unter dem schönen Namen der Religiosität begreifen. 
Zwar der Ewige, dessen allmächtiges Wirken das ganze Weltall 
durchdringt, hat sich keinem seiner vernünftigen Geschöpfe verborgen. 
Ein geheimer Zug des Herzens führt zu ihm. Es will religiös sein, 
ehe es weiß, daß es soll. Di» Vernunft selbst ist eine innere, lebendige 
und unerschöpfliche Quelle seiner Erkenntnis; und der aufmerksame 
Beobachter dessen, was ihn umgibt, hat nicht nötig, Landwirt zu sein 
und den Pflug zu führen, um im Auftauchen der Sonne, im Steruen- 
heer, das die Nacht durchschimmert, im Gewittersturm, in der Blume 
des Feldes, in dem weisen Zusammenhang aller Dinge den zu schauen, 
zu bewundern, anzubeten, den das Herz'so geheimnisvoll ahnet und 
die Vernunft so unausweichbar erkennt. Allein es ist doch nicht zu 
leugnen, llaß von den unzähligen Berufsarten und Geschäften, in welche 
sich das bedürfnisreiche Geschlecht der Sterblichen teilt, das eine 
weniger, das andere mehr von der Anschauung der großen, herrlichen 
Natur und dem Andenken an ihren Urheber abzieht, und daß der 
Landmann mehr als jeder andere in ihm festgehalten wird. Wohin 
er das Auge wendet, wird er an den Schöpfer und Erhalter aller 
Dinge, an den Allmächtigen, Allweisen, Allessegnenden erinnert und 
seiner unsichtbaren Gegenwart nahe gestellt. 
Ich würde die Zeit nicht finden, wenn ich alle Denkmale der All¬ 
macht und Güte und Weisheit aufzählen wollte, die ihn in allen Tages¬ 
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