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41. Unser Kaiser in seinem Heim.
Von Johannes Keßler.
er kennt nicht das gewaltige, stolze Hohenzollernschloß im Herzen
der Mark, dies wettergeschwärzte, majestätische Mauerviereck,
zwischen den beiden Spreearmen aufragend im Herzen Berlins — dies
Wahrzeichen hohenzollernscher Größe, diese Fürstengeschichte in Holz
und Stein! Einst vom Kurfürsten Friedrich II. als kleine, trutzige
Burg angelegt, ist dies Schloß stetig gewachsen; jeder hat daran weiter¬
gebaut. Wenn man durch seine Hallen und Säle schreitet, ist’s einem
bisweilen, als träten die alten Fürstenbilder heraus aus ihren Rahmen
und erzählten von vergangenen Tagen. Was ist unter diesen Zinnen
gelebt und gelitten, gesonnen und gewirkt worden! Aber wie hat auch
Gottes sichtbarer Segen auf dieses Schloß herabgeleuchtet!
Es kam das Jahr 1888. Das alte Schloß hatte noch einmal seinen
alten Kaiser mit gesenkter Standarte gegrüßt, als er zum letztenmal
vorüberzog im stillen Sarge. Seinen Sohn konnte es nicht mehr be¬
willkommnen. Aber nun kam der kaiserliche Enkel auf den Thron, und
er beschloß, sein Heim wieder hineinzuverlegen in die alte Königs¬
burg.
Wir kennen jene lange Fensterreihe im ersten Stockwerk des
Schlosses, hinausblickend nach dem Schloßplatz auf den wasserspendenden
Neptun, die Fenster vom Portal I bis zur Schloßfreiheit, zu denen
schon so manches Auge hinaufgeschaut, weil es weiß, daß hinter ihnen
unser Kaiserpaar wohnt. Ja, da haben sie ihr Heim. Es sind etwa
20 Räumlichkeiten, die zu einer behaglichen, vornehmen Fürstenwoh¬
nung hergerichtet sind. Nirgend verschwenderischer Luxus oder kalter,
glänzender Prunk, nichts Steifes und Unwohnliches. Nein, wer
einmal diese Gemächer durchschreitet, empfindet das Gemütliche, An¬
heimelnde, das zu einer Wohnung gehört, das auch das Heim des
Kaisers zu einem echt deutschen macht. Hier zog er ein mit Ge¬
mahlin und Kindern, und als zum erstenmal die hellen Glühlichter
aufflammten, war’s, als freute sich das alte Schloß, als leuchteten seine
Augen, daß es nun wieder den Markgrafen, den König, ja, jetzt auch
den Kaiser beherbergen konnte.
Die rote Purpurstandarte weht hoch oben über dem Schlosse;
der Kaiser ist also daheim. Denken wir uns, wir hätten heute einmal
— nicht die Ehre einer kurzen Audienz, sondern den Vorzug eines
Flügeladjutanten, einen ganzen Tag im Heim unsers Kaisers mitver¬
leben zu dürfen. Wir wissen, welchen der vielen Zugänge wir zu
wählen haben. Das große, schmiedeeiserne Tor öffnet sich, wir schreiten
durch den Doppelposten hindurch und nun die breite Marmortreppe
hinauf zur Wohnung des Kaisers.