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Die Feinde drangen mehrere Male bis in die Nähe der Stadt, kebr
ten aber, wenn sie die Umgebungen verwüstet und keine Lebensmittel mehr
hatten, stets mißmuthig nach dem Peloponnes zurück. Die Athener vergal¬
ten dies mit ähnlichen Streifzügen zur See nach dem Peloponnes. Im
zweiten Jahre des Krieges hatten die Spartaner eine mächtige Bundesge-
nvssin an einer schrecklichen Pest, welche unter der dicht zusammengedrängten
Bevölkerung furchtbar ausräumte und zuletzt auch den Pericles hinwegraffte.
Auch da noch, als die Seuche alle Bande der menschlichen Gesellschaft auf¬
gelöst hatte, verstand er durch die Gewalt seines Geistes die wild aufge¬
regten Massen der Volksversammlung zu beherrschen und ertrug das Unglück
mit starker Seele, als es in sein eigenes Haus eindrang und auch den letz¬
ten seiner Söhne dahinnahm. Der Tod dieses Mannes war darum für
Athen ein so großes Uebel, weil nun die Herrschaft in die Hände des Pö¬
bels und der Reichen kam, aus deren Mitte zuerst der besonnene, aber zur
Leitung einer athenischen Volksversammlung unfähige Feldherr Ni eins und
dann der Gerber Kleon, ein aufbrausender, volksschmeichelnder und harter
Mann, den meisten Einfluß erhielten.
In den nächsten sieben Kriegsjahren (429 — 422) zeigte sich recht
deutlich, wie entsetzlich dieser Bürgerkrieg Griechenland zerrüttete und das¬
selbe bis in die einzelnen Städte und Familien hinein in zwei Heerlager
spaltete, das der Aristo er aten, auf Seiten der Spartaner, und das der
Demo ernten, welche die Athener begünstigten und von ibnen begünstigt
wurden. Wenn in einer Stadt die aristocratische Partei vertrieben worden
war und die demokratische herrschte, so mußte sie immer die Rückkehr der
andern Partei und dann dasselbe Loos der Vertreibung fürchten. Zu wel¬
chen unmenschlichen Grausamkeiten der Parteihaß trieb, zeigt das Nieder¬
metzeln von 1000 Bewohnern Mitylenä's durch die Athener; die Vernich¬
tung Platää's und seiner den Athenern mit seltener Treue anhängenden
Bürger, welche die Spartaner der Rache der Thebaner opferten; das
Hinmorden der aristocratisch Gesinnten auf Corcyra (Corfú). Man kann
sich leicht denken, welche Zerrüttung durch diesen Bruderkrieg über ganz
Griechenland kam, wie die Selbstsucht und die bösen Leidenschaften sich
mächtig erhoben, jede Tugend und Sittlichkeit untergraben wurde. Endlich
wurde im zehnten Jahre des Krieges (422), nachdem im Kampfe um Amphi-
polis in Thracien der spartanische Feldherr Brasidas mit der Ehre eines
siegreichen Helden, Kleon dagegen mit der Schande ungeschickter Feigheit
gefallen war, ein Friede angeblich auf 50 Jahre und zwar auf den Besitz¬
stand vor dem Kriege, zu Stande gebracht.
Allein dieser Friede war nur von kurzer Dauer. Argos glaubte, daß
nun seine Zeit gekommen sei, diesen Frieden für sich auszubeuten und die
Oberherrschaft im Peloponnese zu gewinnen, und auch Athen wurde durch
eine kriegslustige Partei, an deren Spitze der zwanzigjährige Alcibiades stand,
bewogen, in den Bund gegen Sparta wieder einzutreten. An den Namen
dieses Mannes knüpft sich ein gutes Stück der Geschichte des athenischen
Volkes zu dieser Zeit, und er spiegelt seine Zeit im Guten und im Bösen
treu zurück. Alcibiades nämlich, der von der Natur, wie von dem Glück
verschwenderisch begünstigte Sohn des Klinias in Athen, des Pericles
Schwestersohn und Zögling des weisen Sócrates, vor dem allein er Ehr¬
furcht batte, besaß an Geist und Körper die größten und schönsten Eigen-