163. Aus dem Norden.
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Schweden wohnen, die Sonne gar nicht unter. Schlägt die Mitter¬
nachtsstunde, so scheint sie noch so hell zu Spiel und Tanz für alt und
jung, als gäbe es keinen Schlaf und keine Nacht; die Schnee-Eule
wartet vergebens auf den Abend; sie muß sich bequemen, bei Tage aus
Raub auszufliegen, und tut, als wäre es Nacht. Die Sonne kreist
groß und hell rings am Horizonte herum, senkt sich um Mitternacht
wohl ein wenig, geht aber nicht unter. Wer nicht gut bei Tageslicht
schlafen kann, der muß die Fenster seiner Kammer sorgfältig verhängen
um durch eine künstliche Dämmerung den Schlaf zu fördern. Das mag
manchen gar schön dünken; wenn es nur immer so bliebe.
Schreiben wir den 21. Dezember, dann sind bei uns die Tage
wohl bedeutend kürzer als um Johannis; aber die Sonne kommt doch
jeden Morgen wieder zum Vorschein, wenn sie auch etwas auf sich
warten läßt. In jenen Gegenden jedoch hat sie auf lange Zeit Abschied
genommen und die Kerzen am Weihnachtsbaume können mittags um
zwölf Uhr angezündet werden und wer will, kann morgens um sechs
Uhr zu Bett gehen und abends um sechs Uhr wieder aufstehen: es ist
alles einerlei; finster ist es und bleibt es, so daß mancher zuletzt gar
nicht mehr wissen mag, ob es denn eigentlich Tages- oder Nachtzeit ist.
Gewiß würden einem Deutschen die Tränen in die Augen treten, sollte
er die Sonne aus mehrere Monate scheiden sehen. Dem Bewohner des
Nordens ist dies auch nicht angenehm und sicherlich ist große Freude,
wenn die Lampe wieder ausgelöscht werden kann. Alt und jung stehen
gewiß erwartungsvoll da und schauen nach der Gegend am Himmel, wo
das feierliche Morgenrot das Herannahen der lang ersehnten Sonne
verkündet.
So wird der Winter im hohen Norden von einer mehrere Monate
langen Nacht begleitet, wogegen der Sommer durch eine eben so lange
Gegenwart der Sonne entschädigt. So gut es aber auch die Sonne
meint, ein Sommer in unserem deutschen Vaterlande ist mir doch lieber,
als im Norden von Schweden und Norwegen. Zwar überziehen sich in
kurzer Zeit die Täler mit einem saftigen, vollen Grün; auch fehlt es
nicht an Blüten mancherlei Art und die Wärme steigert sich mit jeder
Stunde, da die abkühlende Nacht nicht eintritt; — aber an Kirschen und
Birnen ist nicht zu denken, ja, nicht einmal an Kartoffeln, und Brot
aus Roggen gilt als Leckerbissen. Wer dort wohnt, der bekommt keinen
anderen Baum zu sehen als die Tanne oder die Birke und wer aus
unserem Vaterlande dorthin ziehen will, der nehme nur Abschied von den
Buchenwäldern und Obstbäumen, von der Weinrebe und den Weizen¬
feldern. Anfangs begleiten ihn zwar noch alte Bekannte: Apfelbäume,