Full text: Deutsche Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre

85 
Von Kindern sind vollständig auf die Hilfe fremder Menschen an¬ 
gewiesen die elternlosen Kinder (Waisen oder von den Eltern verlassene 
Kinder). Sie können Aufnahme in Waisenhäusern (in andern Ländern 
auch in Findelhäusern) finden. Das erste größere Waisenhaus ist von 
A. H. Francke in Halle 1698 gegründet worden. Für Militär-Waisenknaben 
ist das große Militär-Waisenhaus in Potsdam (seit 1724 bestehend) 
bestimmt. Andere Waisenhäuser sind vom Staat, von Gemeinden oder 
von Privatleuten errichtet. 
Manche Waisenanstalten suchen ihren Kindern einen Ersatz für das 
verloren gegangene Familienleben zu bieten, indem sie Gruppen von 8—12 
Pfleglingen in besonderen Häusern (cottages) bilden (so z. B. das Rauhe 
Haus). Vielfach werden Waisen auch direkt in fremden Familien, größten¬ 
teils auf dem Lande untergebracht. In dieser Art der Unterbringung kann 
der Segen der Familienerziehung inmitten der praktischen Verhältnisse 
des gewöhnlichen Lebens erzielt werden. 
Für Vollwaisen ist stets eine Vormundschaft notwendig, ebenso nach 
den zurzeit noch geltenden Gesetzesbestimmungen für uneheliche Kinder. 
Die Fürsorge für diese beginnt mit einem sozialen und wirtschaftlichen 
Schutz der treulos verlassenen Mutter vor, während und nach der Geburt. 
Der Vater wird zur Unterhaltungspflicht herangezogen, die Kinder können 
einer Familie zur Aufziehung gegen Entgelt übergeben werden, ihre Pflege 
wird dann polizeilich überwacht. 
Die Unterbringung in einer fremden Familie oder in einer besonderen 
Erziehungs- oder Besserungsanstalt kann zwangsweise als Fürsorgeerziehung 
im Reiche durch eine vormundschaftsgerichtliche Verfügung angeordnet 
werden, wenn das geistige oder leibliche Wohl des Kindes durch Ver¬ 
schulden des Vaters oder des Vormundes gefährdet wird, desgleichen durch 
strafrichterliche Verfügung, wenn der Minderjährige im Alter von 12 — 18 
Jahren eine strafbare Handlung begangen hat, aber freizusprechen war, 
weil er bei Begehung derselben die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit er¬ 
forderliche Einsicht nicht besaß (§ 56 StGB.), sodann, wenn der Minder¬ 
jährige bei Begehung der strafbaren Handlung das 12. Lebensjahr noch 
nicht vollendet hat und deshalb wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt 
werden kann — im letzteren Falle mit Einwilligung des Vormundschafts¬ 
gerichts. 
Rach Kennzeichnung dieser zwei besonderen Arten von Fürsorgekindern 
kommen wir dazu, im allgemeinen die Einrichtungen hier zu würdigen, die 
zum Schutze der hilfsbedürftigen Jugend vielerorten getroffen worden sind, 
und zwar unabhängig von ihrem Anteil an der Unterstützung, die der 
ganzen Familie im Bedürfnisfalle gewährt wird. 
Der Säuglingsfürsorge hat bereits eine Reihe von Gemeinden 
ihre besondere Aufmerksamkeit zugewandt. Um der betrübend großen 
Säuglingssterblichkeit entgegenzutreten, haben verschiedene Städte Mutter-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.