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ihm horsten. Der majestätische Berg heißt sonderbarerweise der Kratz-
berg, wie man sagte, seiner nackten zerrissenen Oberfläche wegen.
Wahrscheinlicher aber ist man auf diesen Namen deswegen verfallen,
weil das hinter ihm liegende Bad diese Krankheit heilt oder vielmehr
ihre Insekten tötet.
Piätigorsk ist eine mit großartiger Anlage neu erstandene Stadt,
deren villenähnliche Häuser zerstreut auf niederen Hügeln nach Norden
liegen, mit der Aussicht auf eine unbegrenzte Ebene im Vordergrunde.
Noch fehlt der schattengebende Baumwuchs um die schönen Häuser;
man war früher, um das Land gegen die Bergbewohner zu be-
haupten, genötigt gewesen, die Wälder zu zerstören; die neu angelegte
Pflanzung aber gedeiht nur schwer und langsam. Doch sieht man schon
hie und da Parkanlagen, die sich vor den großartigen Gebäuden von
einem ebenen Platze aus nach einer terassenförmigen Anhöhe hinauf
erstrecken.
Auf einem geräumigen Platze befindet sich das palastartige Haus
den Statthalters. Hohe, mit Blumen besetzte Stufen führen zu dem
Gebäude empor, in defsen weiten Räumen Wohnungen für Kurgäste
eingerichtet sind. Freilich sind diese Zimmer nicht so wohnlich wie in
Wiesbaden, Homburg oder Baden-Baden; denn im südlichen
Rußland herrscht schon die asiatische Gewohnheit: dem Reisenden nur
die vier kahlen Wände mit Tisch und Bank und zum Überfluß eine
leere Bettstelle zu bieten. Alles Nötige, was zur Bequemlichkeit dient,
mit Einschluß einer großen Menge Insektenpulver, muß jeder mit
sich führen. In den Steppen darf selbst eine Vorratskammer von
Speisen und Getränken nicht sehlen, wenn man nicht auf sein Begehren
immer dieselbe Antwort hören will: „Es ist nichts da!" Nur die Post-
Häuser an den Hauptstraßen können ebenfalls mit Tee, Schwarzbrot
uud heißem Wasser aufwarten.
Als der nächste Morgen dämmerte, wurden die Bäder in dem
etwas entfernt liegenden Badehause besucht. Auf dem Wege dahin bot
sich uns ein weiter Fernblick. Tief im Südwesten lag ein nebelhafter
weißer Streifen, der sich nach und nach erhellte und bald im Purpur-
lichte strahlte. Es war das weithin gestreckte Joch des Kaukasus, welches,
als die Sonne höher stieg, aus dem glühenden Alpenrote in den weißen
blendenden Schnee zurücktrat, unter dem die blaue duftige Dämmerung
der Steppe lag. Deutlich erkannte man den riesigen Eberus. Dort
oben, unter der Schneegrenze, sagt ein russischer General, wohnt der
wildeste Volksstamm der Kaukasier.
Die Quellen von Piätigorsk enthalten Schwefel und
Alkalien ungefähr in der Mischung wie Aachen, doch in stärkeren
Verbindungen, und sind so heiß, daß sie an manchen Stellen kochend
und sehr reichlich aus dem Berge zu Tage kommen. Kranke, welche
hier naturgerechte Heilung finden, sind vorzüglich die an Rheumatis-
mus, Gicht, Skrofeln und Ausschlag Leidenden. Der Aufenthalt kostet