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stellen, indem jeder als Bürger des ganzen Staates sich betrachte, das ein¬
zelne Interesse dem des Ganzen unterzuordnen und hiernach die Meinung zu
bestimmen.
Indessen es gab unter den Entbotenen manche, welche hierin mit Nichten
ihre Aufgabe sehen wollten. Der Major von der Marwitz auf Friedensdorf
überreichte dem Staatskanzler eine Denkschrift, in welcher die Erhaltung der
bisherigen Grundeigentümer in ihren Besitzungen und Rechten gefordert wurde.
Hardenberg nahm gar keine Notiz davon. Da richtete denn eine An¬
zahl von Grundbesitzern, Graf Finkenstein auf Madlitz und von der Marwitz
voran, indem sie sich als die Stände des Lebusschen, Storkowschen und
Beeskowschen Kreises unterzeichneten, unter dem 9. Mai 1611 eine Vorstellung
an den König selber, ihr „altes ehrliches, brandenburgisches Preußen" davor
zu bewahren, „ein neumodischer Judenstaat" zu werden. Aber der König, wie
einst sein großer Ahn, griff energisch durch; allen Unterzeichnern ließ er sein
ernstes Mißfallen ausdrücken; Graf Finkenstein jedoch und von der Marwitz,
in welchem er mit Recht die Anstifter der Auflehnung sah, wurden verhaftet
und auf die Festung Spandau abgeführt. Erst nach fünf Wochen ließ er sie
„aus Gnaden" wieder in Freiheit setzen
Der Eindruck, den diese Strenge machte, war groß; die Widersetzlichkeit
gegen Hardenbergs weitschanende Gedanken versiegte, und am 28. Juni ent¬
ließ der Staatskanzler die Versammlung mit dem Ausdrucke der Anerkennung
für ihre Thätigkeit. Noch einmal im September wurden die Notabeln zu
einer kurzen Sitzung einberufen.
Sofort aber reihte sich hieran ein zweiter bedeutender Schritt. Durch
das „sernerweite Edikt über die Finanzen des Staates und das Abgaben¬
system" vom 7. September 1811 wurde die Generalkommission errichtet,
welche neben den von der Regierung ernannten Mitgliedern achtzehn Vertreter
der Rittergutsbesitzer, neun grnndbesitzende Vertreter der Städte, nenn Ver¬
treter der bäuerlichen Grundeigentümer (unter Voraussetzung eines Eigentums
von mindestens einer Hufe) und außerdem je ein Mitglied für die Residenzen
Berlin, Königsberg und Breslau enthielt. In aller Stille hatte sich Harden¬
berg nach dem Riesengebirge begeben und mit Stein dort eine Zusammenkunft
gehabt, in der sie sich über das weittragende Vorhaben besprachen. Freilich ent¬
sprach die Generalkommission den Reichsständen, wie sie Stein vorschwebten,
nicht, aber sie war doch der erste Anfang einer aus freien Wahlen hervor¬
gehenden Volksvertretung in Preußen. Ihre nächste Aufgabe war, durch
ihren Rat die Regelung der Provinzial- und Kommunalkriegsschulden zu
fördern; darüber hinaus indes ging ihr Bestreben von Anfang an dahin, zu
einem „Organ der Nation" sich zu erheben. Sie tagte als „interimistische
National- oder Landesrepräsentation" im königlichen Schlosse in Berlin von
der Mitte des April 1812 bis zum 14. Februar 1813 und vom 21. Februar 1814
bis zum 10. Juli 1815.
Wesentlich anderer Art sind die „Organisationsgesetze" Hardenbergs,
die Verordnung vom 27. Oktober 1810 über die Verfassung aller obersten
Staatsbehörden und das ..Gendarmerieedikt" vom 30. Juli 1812, durch
welches das militärisch geordnete Korps der Gendarmen ins Leben gerufen
wurde, zur Beseitigung der Mängel, „welche der Wirksamkeit der Staatsver¬
waltung in Beziehung auf das platte Land hinderlich find". Dadurch erst