Full text: [Abt. 8 = Für Prima] (Abt. 8 = Für Prima)

Overbeck: Die Niobegruppe. 
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Mit diesen Worten berichtet Plinius über die Gruppe der Niobe. Nun 
zeigt der ganze Zusammenhang der Stelle, daß der Zweifel über den Ur¬ 
heber sich zunächst daran knüpft, daß der Meister an dem Werke selbst bei 
seiner Aufstellung in Rom nicht genannt und daß vielleicht die Überlieferung 
über ihn schon an dem Orte, von dem die Gruppe nach Rom versetzt 
wurde, unsicher geworden war. Obgleich aber einige Epigramme auf die Niobe 
Praxiteles als den Verfertiger nennen, obgleich mehr als ein bedeutender 
Kunstgelehrter nach wechselnden Gründen den Zweifel des Altertums heben 
zu können und die Gruppe bald auf Skopas, bald auf Praxiteles zurück¬ 
führen zu dürfen glaubte, so wird doch eine völlig sichere Entscheidung kaum 
möglich sein. Man wird vielmehr, ohne zu übersehen, daß sich die Gründe, 
die für Praxiteles sprechen, in der letzten Zeit gemehrt haben, anerkennen 
müssen, daß die Unsicherheit der Überlieferung letzthin darauf beruhen wird, 
daß, mögen Unterscheidungsmerkmale des Kunstcharakters der beiden großen 
Zeitgenossen vorhanden sein, gerade die Niobegruppe ein von dem so viel¬ 
fach verwandten Geiste beider durchatmetes Werk, ein Zeugnis eben dieser 
Geistesverwandtschaft war. Wenn wir demnach einstweilen noch vorziehen, es, 
wie die Alten, unentschieden zu lassen, wer von beiden Künstlern der Meister 
der Gruppe sei, so ist diese deshalb ein nicht minder schätzbares Denkmal 
der Kunst der Periode, von der wir reden, und der Künstler, die wir 
kennen gelernt haben, ja vielleicht gerade durch den Zweifel über den Ur¬ 
heber doppelt schätzbar, weil sie durch diesen für uns zum Zeugnis für die 
Kunst beider Meister, zu einem Denknwl der ganzen Periode in ihren 
höchstbegabten Vertretern wird. Aber auch ganz abgesehen von ihrer kunst¬ 
geschichtlichen Bedeutung im engeren Sinne steht die Niobegruppe, obgleich 
nur in Kopien von verschiedenem Wert auf uns gelangt, ihrer Erfindung 
nach so bedeutend da, daß sie neben dem Herrlichsten, das aus dem Alter¬ 
tum auf uns gekommen ist und seinen Geist und seine eigentümlich edle 
Bildung am deutlichsten offenbart, einen würdigen Gegenstand stets er¬ 
neuter Studien bildet und wohl noch für lange Zeit bilden wird. 
Niobe, Tantalus' Tochter, die Gemahlin des Königs Amphion von 
Theben, war die Mutter eines zahlreichen Geschlechts blühender Söhne und 
Töchter. Ihre Mutterfreude über die herrlichen Kinder trieb sie zum Über¬ 
mute, und sie überhob sich gegen Leto, der sie nach Pindar eine gar liebe 
Genossin gewesen war, prahlend, Leto habe nur zwei Kinder geboren, sie 
aber, Niobe, ihrer vierzehn. In diesem übermütigen Stolze verbot sie den 
Thebanern, Leto und ihren Kindern Opfer zu bringen, und verlangte da¬ 
gegen göttliche Verehrung für sich. Die beleidigte Gottheit aber strafte sie 
furchtbar an dem, was sie zur Sünde getrieben hatte, und unter den 
Pfeilen der Letoiden erlagen um Niobe alle ihre Kinder an einem Tage.
	        
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