Full text: Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen

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zwar sind diese so vertheilt, daß die eine in der Mitte, die andre 
am Ende des Verses steht. Also: 
— ^ V j — V V | _ j _ ^ | ^ ^ | _ 
Statt der Daktylen der ersten Hälfte können auch Spondeen, 
allenfalls auch Trochäen stehen; aber in der zweiten Hälfte müssen 
die Daktylen bleiben. Also: 
Ja! das Ge- I Präg' ist gut; I doch das Me- j tall ist nichts I nütz. 
Oder: 
Was kein ! Richter er- I späht, I bringet der | Zufall ans j Licht. 
Der Pentameter steht nie allein, sondern kann nur mit dem 
Hexameter vereint gebraucht werden. Z. B. 
Willst du dich selber erkennen, so sieh', wie die Andern es treiben; 
Willst du die Andern verstehn, blick' in dein eigenes Herz! 
(Schiller.) 
Ein solches kleines Gedicht, das nur aus Einem Hexameter 
und Einem Pentameter besteht, wird ein Distichon genannt, 
wie das vorstehende. 
In der Mitte des Pentameters muß immer ein Ruhepunkt 
sein. Es ist also ein Fehler, wenn in der Mitte nicht einmal 
ein Wort zu Ende ist; z. B. 
Tilge mit Weine der miß- | launigen Sorge Tumult! 
Der Dichter wählt ein solches Versmaaß, welches zum Tone 
des Gedichts paßt. Ist z. B. der Ton ernst und feierlich, so ist 
der Hexameter geeignet. Doch wird man gut thun, mehr die 
gereimten Versarten zu pflegen; der Hexameter bleibt immer ein 
ausländisches Gewächs, und seine häufige Anwendung auch von 
Seiten unserer classischen Dichter des vorigen Jahrhunderts ist 
ein entschiedener Mißgriff. Trochäen werden zu sanft klagenden 
Gedichten, Jamben und Daktylen zu fröhlichen gewühlt. Es 
wird als eine Schönheit betrachtet, wenn das Versmaaß die Be¬ 
deutung der Worte möglichst versinnlicht. Z. B. folgender Hexa¬ 
meter drückt das Hüpfen des Steines vom Berge schön aus: 
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor. 
(Voß, Odyssee.)
	        
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