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vermochten nicht aufzuhören, bis sie starben. Bis nach der Schlacht bei
Leipzig lebte im Volke der Glaube, daß sie vom Himmel mit ewigem
Hunger gestraft seien. Noch dort geschah es, daß Gefangne in der Nähe
des Lazaretts sich die Stücke toter Pferde brieten, obgleich sie bereits
regelmäßige Lazarettkost erhielten. Noch damals behaupteten die Bürger,
das sei ein Hunger von Gott; einst hätten sie die schönsten Weizengarben
ins Lagerfeuer geworfen, hätten gutes Brot ausgehöhlt, verunreinigt und
auf den Boden gekollert; jetzt seien sie verdammt, durch keine Menschen¬
kost gesättigt zu werden.
6. Überall in den Städten der Heerstraße wurden für die Heim¬
kehrenden Lazarette eingerichtet, und sogleich waren alle Krankenstuben
überfüllt; giftige Fieber verzehrten die letzte Lebenskraft der Unglücklichen.
Ungezählt sind die Leichen, welche herausgetragen wurden; auch der Bürger
mochte sich hüten, daß die Ansteckung nicht in sein Haus drang. Wer
von den Fremden vermochte, schlich sich deshalb nach notdürftiger Ruhe
und hoffnungslos der Heimat zu. Die Buben auf der Straße aber sangen:
„Ritter ohne Schwert,
Reiter ohne Pferd,
Flüchtling ohne Schuh',
nirgends Raft noch Ruh'!
So hat sie Gott geschlagen
mit Mann und Roß und Wagen!"
und hinter den Flüchtlingen gellte der höhnende Ruf: „Die Kosaken sind
da!" Dann kam in die flüchtige Masse eine Bewegung des Schreckens,
und schneller wankten sie zum Tore hinaus.
Das waren die Eindrücke des Winters von 1613.
Gustav Freytag.
79. Aufruf.
t. frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen,
hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.
Du sollst den Stahl in Feindes Kerzen tauchen;
frisch auf, mein Volk! — Die Flammenzeichen rauchen,
die Saat ist reif, ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das höchste fteil, das letzte, liegt im Schwerte!
Drück' dir den Speer ins treue bjerz hinein,
der Freiheit eine Gasse! — wasch die Lrde,
dein deutsches Land, mit deinem Blute rein!
2. <Ls ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen;
es ist ein Kreuzzug, 's ist ein heil'ger Krieg!
Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen;
errette sie mit deiner Freiheit Sieg!
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